Seite 16 - Vinschger_Sommer_2013

Basic HTML-Version

16
Der Schrei
ist ungefähr sechs Zentimeter hoch und 38
Zentimeter lang. Zumindest imDorf Mals.
Die Anklage
ist etwas
länger, aber genauso hoch. Und
Karl auf der Mauer
, Sie wissen
schon: sechs Zentimeter hoch, aber noch länger als die Ankla-
ge. Ähnlich verhält es sich mit dem
Loch in der Mauer
, den
erschrockenen Kühen
und dem
toten Papst
. Und bei rund 300
weiteren Bildtiteln des verstorbenen Malers Karl Plattner (­1919-
1986), die der aus Taufers stammende Künstler Othmar Prenner
auf Häuserwänden, in Restaurants und Cafés, in kleinen Schnei-
derstuben, auf Kühlschränken, in Geschäften und sogar als
Tattoos auf der Haut anbringen ließ.
Der Raub der Europa
beispielsweise führt direkt vor die Tore
der Malser Werkstatt eines anderen Künstlers. Steinbildhauer
Armin Joos ließ nicht nur - in Bronze - die Europa vom Stier
entführen, sondern zeigt im Hof seine Beschäftigung mit
griechischer Mythologie und dem kristallinen weißen Marmor
aus Laas. Auch
die Näherin
näht wirklich. Aber das eher pri-
vat. Und die Malser Bibliothek verkündet nicht nur an ihrem
Eingang, dass es zu einer
dramatischen Begegnung
kommen
könnte, sondern beherbergt auch eine feine Artothek, ebenso
eine Idee von Othmar Prenner. Neben Werken zeitgenössischer
Südtiroler Künstler können sich Interessierte ein Gemälde von
Karl Plattner ausleihen.
Die Möglichkeit, eine Arbeit von Karl Plattner im öffentlichen
Raum zu sehen, gibt es auch. Als Auftragsarbeit für die kleine
Kirche in Alsack 1959/1960 entstand die Pietà, wo sie heute
hängt. Lange Zeit war das Gemälde von der Gemeinde nicht
akzeptiert. Zu wenig religiös, so der Vorwurf.
Pietà
, das steht
auf den Wänden des Benediktinerklosters Marienberg. Wer mit
offenen Augen durch die Gemeinde Mals und ihre Fraktionen
spaziert, wird sich überraschen lassen. Er erlebt die
Wiederauf-
nahme eines Gespräches
, sehnt sich nach einem
Mahl
, erlebt
die ein oder andere
sonderbare Begegnung
und stellt fest: Wie
viel es zu entdecken gibt.
Foto: Katharina Hohenstein
Foto: Othmar Prenner