Seite 27 - PLUS_09_2013

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porträt
Michael Grünberger
VÖLS
- (ar) Der 38-jährige, am Ritten aufgewach-
sen und jetzt in Völs lebende Michael Grünberger
bekleidet an der Uni Bayreuth einen Lehrstuhl für
Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Technikrecht.
Im Interview mit der PLUS spricht der Jurist über die
scheinbar „trockene Kost“ der Rechtswissenschaft,
die Gerechtigkeit und die USA.
PLUS: Herr Grünberger, waren
Sie bereits in Ihrer Kindheit
und Jugend auf der Seite der
Schwächeren?
Nun, ich gehörte niemals zu den
Starken – körperlich gesehen –
und war daher zwangsläufig auf
der Seite der Schwächeren. (lacht)
Vielleicht habe ich dadurch schon
recht früh gemerkt, dass es meh-
rere Arten gibt, Stärke zu zeigen.
Sich nicht unterkriegen zu lassen,
ist bestimmt eine davon.
PLUS: Was bewog Sie dazu,
Rechtswissenschaften zu stu-
dieren?
Zur Rechtswissenschaft kam ich
über einen Umweg, zumal ich in
Köln Volkswirtschaftslehre studie-
ren wollte. Dafür muss man auch
juristische Vorlesungen hören.
Diese fand ich viel spannender
als die ökonomischen Lehrveran-
staltungen, denn im Vergleich dazu
pulsierte bei Jura das Leben!
PLUS: Sie haben in Köln studiert.
Warum nicht in Innsbruck oder
Bologna?
Ich wollte weit weg. Südtirol ist
schön, für mich aber war es damals
– Anfang bis Mitte der 1990er Jahre
– furchtbar eng. Köln dagegen war
offener, liberaler, bunter – und das
obwohl die Stadt sehr katholisch
geprägt ist!
PLUS: Was sagen Sie jungen
Leuten, die vor der „trockenen
Kost“ der Rechtswissenschaften
zurückschrecken?
Dass sie noch nicht beim richtigen
Koch waren! Jura ist eigenes Sys-
tem, dessen Regeln man wie bei
einer fremden Sprache erlernen
muss. Die juristischen Regeln sind
wie ein unsichtbares Geflecht, das
immer erst dann sichtbar wird,
wenn im „Leben“ irgendetwas schief
läuft. Wer sich für Jura interessiert,
muss wie ein Übersetzer arbeiten
und in beiden „Sprachen“ Recht
und Leben zu Hause sein. Das ist
spannend!
PLUS: Gerechtigkeit ist ein ab-
strakter Begriff. Wie füllen Sie
ihn konkret mit Leben?
Gerechtigkeit – das ist ein gro-
ßes Wort. Wir Juristen sollten
damit sehr vorsichtig umgehen.
Der Begriff ist tief in moralphi-
losophischem Denken verwurzelt
und strahlt von dort in die Po-
litik aus. Für das Recht wird er
erst gebrauchsfähig, nachdem
er „gefiltert“ wurde. Auch hier
kommt es also zu einer „Überset-
zung“ von einem philosophischen
oder politischen Begriff zu einem
Rechtsbegriff. Er kann das Recht
aber dafür sensibilisieren, seiner
Aufgabe als Gestalter von Frei-
heitsräumen unterschiedlichster
Art besser „gerecht“ zu werden.
PLUS: Herr Grünberger, warum
tun sich die USA mit den Men-
Das sollte man – bei aller berech-
tigten Kritik – nicht vergessen.
PLUS: Ein politisches Amt bedeu-
tet Macht auf Zeit. Was würden
Sie juristisch ändern, sofern Sie
die Macht dazu hätten?
Ich glaube an die Bedeutung von
Institutionen, um kontroverse Fra-
gen in politischen, rechtlichen,
sozialen und wirtschaftlichen
Diskursen angemessen lösen zu
können. Das italienische Trauer-
spiel – von „Clowns“ sollte man
nicht sprechen, das wird der hier
gespielten Tragödie wirklich nicht
gerecht – führt uns täglich vor,
welchen Schaden nicht funktio-
nierende Institutionen anrichten
können. Die ganze Macht würde
mir freilich nichts nützen, wenn es
nicht auch die Personen gibt, die
jenseits ihrer eigenen Interessen
bereit sind, Verantwortung für
das Gemeinwesen zu übernehmen.
Das setzt aber einen Bürgersinn
voraus, der uns abhandengekom-
men scheint. Am Ende haben wir
„Gerechtigkeit ist ein großes Wort“
schenrechten so schwer?
Aus europäischer Perspektive schei-
nen uns die USA manchmal sehr
fremd zu sein: Schusswaffenbesitz
als ausdrückliches Grundrecht, die
in vielen Bundesstaaten mögli-
che Todesstrafe, Guantanamo.
Man kann aber nicht sagen, dass
sich die USA mit Menschenrech-
ten generell schwer tun. Gerade
wir in Deutschland und Italien
verdanken den USA das moder-
ne Verständnis von vor Gericht
durchsetzbaren Menschenrechten.
daher die (schlechten) Institutio-
nen, die wir uns verdient haben.
PLUS: Was wünscht sich Prof.
Grünberger für die Entwicklung
seines Fachs, für sich und seine
Studierenden?
Für mein Fachgebiet wünsche ich
mir, dass es die gesellschaftlichen
Funktionen des Rechts stärker
bei der Anwendung des Rechts
berücksichtigen würde. Meinen
Studierenden wünsche ich Durch-
haltevermögen und hoffe, dass
sie sich ihren neugierigen und
kritischen Blick auf das Recht im
Zusammenspiel mit dem Leben
bewahren. Mir selbst wünsche ich
manchmal etwas mehr Zeit für
die – neben Jura – vielen anderen
schönen Dinge im Leben.
Danke herzlich für das Gespräch!
Foto: Balsereit
Foto: Li
Foto: Li