Faschingsdienstag ist heute, in Rom
spürt man davon wenig. Was soll‘s,
Karneval scheint hier das ganze Jahr
zu sein, oder jedenfalls Situationen,
wo Masken getragen und wahre Ge-
sichter versteckt werden.
Die Reform des Wahlgesetzes dürfte
- zumindest in der Kammer - in die
Endphase gehen; sollte sie im Palazzo
Montecitorio genehmigt werden, dann
muss sie noch den Senat durchlaufen,
wo Mehrheiten knapper und Brücken
schlüpfriger sind. Derzeit wird ja noch
hinter den Kulissen heftig diskutiert,
ob eine Wahlrechtsreform eine Klausel
enthalten kann, dass sie erst nach der
Reform der Verfassung und vor allem
nach der (wie auch immer gearteten)
Abschaffung oder Neustrukturierung
des Senats in Kraft tritt ... wohl ein
juristisches Unding, mit einem ‚or-
dentlichen‘ Gesetz eine Verfassungs-
reform zu antizipieren oder zumindest
das Inkrafttreten eines Gesetzes von
einer Überarbeitung der Verfassung
abhängig sein zu lassen. Alternativ
dazu gibt es ja noch den Ansatz, das
Wahlgesetz zwar zu reformieren, aber
beschränkt auf die Wahl der Abgeord-
netenkammer, während für den Senat
keine Regelung genehmigt werden
sollte. Im Ernstfall würde dann der
Senat aufgrund einer im Lichte des
Urteiles des Verfassungsgerichtshofes
erst im Interpretationswege zurecht
zu kleisternden Minimalregelung ge-
wählt. Damit würde das eigentliche
Ziel der Wahlrechtsreform, nämlich
vorhersehbar stabile Mehrheiten,
zunichte gemacht.
Wenn Sie, geschätzte Leser, diesen
Brief lesen, wird diese Frage wohl
schon entschieden sein; vielleicht
hat sich bis dahin ja eine Kompro-
misshaltung durchgesetzt, die dar-
in bestünde, das Inkrafttreten des
neuen Wahlgesetzes um ein Jahr zu
verzögern ...
Warum dies alles, fragen Sie? Ganz
einfach, ein neues Wahlgesetz ist
eine Waffe in der Hand von Renzi,
der derzeit noch die Hoffnung keimen
lassen darf, im Falle von Wahlen eine
Mehrheit und vor allem eine Direktbe-
auftragung (und Legitimation) durch
das Volk zu erhalten. Und damit ver-
fügt er über ein Drohpotential, um all
jene in Schranken zu halten, die ihn
liebend gerne ans Messer liefern und
auflaufen lassen würden. Je länger er
hingegen Ministerpräsident ist und
je weniger er - dank jener, denen
er das Grab geschaufelt hat - von
‚seinen‘ angekündigten Reformen
auch tatsächlich durchbringen und
umsetzen kann, um so geringer wer-
den seine Chancen, auch in Zukunft
in Italien eine wesentliche politische
Rolle zu spielen. Und Gegner hat er
genug, Matteo Renzi, Gegner, die
ihm einen unschönen politischen
Tod wünschen, im fremden wie im
eigenen Lager, denn er selbst ist ja
auch nicht gerade zimperlich mit
seinen politischen Freunden umge-
gangen in Zeiten, da er selbst noch
auf der politischen Wartebank saß.
So ist dieses Wahlgesetz ein erster
wichtiger Prüfstein, woran sich zeigen
wird, wie stark Renzi ist und ob sich
seine Gegner zu outen wagen.
Gelingt ihm die Wahlreform, wird
er stärker und es dürfte einige Zeit
verstreichen, bis neue Angriffe auf
ihn gestartet werden. Und bis dahin
sollte sich die positive Grundstim-
mung, die er derzeit tatsächlich zu
verbreiten in der Lage ist, doch in
einigen positiven Ansätzen der ita-
lienischen Wirtschaftspolitik nieder
geschlagen haben.
Aber wie alles hier in Rom, handelt
es sich nur um Spekulationen, denn
... Karneval scheint hier das ganze
Jahr zu sein, oder jedenfalls Situatio-
nen, wo Masken getragen und wahre
Gesichter versteckt werden.
Warten wir also, bis die Masken
fallen, am Faschingsdienstag, den
04.03.2014
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Brief aus Rom
Brief aus dem Landtag
Geschätzte Leser,
Manfred Schullian
Kammerabgeordnete
Brigitte Foppa
Landtagsabgeordnete
Ein Erfolg, eine Nachricht und eine
Katastrophe – so hab ich, in weni-
gen Worten zusammengefasst, die
letzten Wochen im Südtiroler Land-
tag erlebt. Die Arbeit ist inzwischen
angelaufen, die ersten „richtigen“
Sitzungen haben stattgefunden, es
ist „losgegangen“.
Ich habe meinen ersten politischen
Erfolg im Landtag erlebt – für eine
Oppositionspolitikerin ein nicht
so alltägliches Erlebnis. Mein Be-
schlussantrag der vorsieht, dass in
Zukunft, wo immer möglich, gemein-
same Schulgebäude für deutsche und
italienische Kinder errichtet, oder
bei Umstrukturierungen bestehende
zusammengelegt werden, wurde mit
großer Mehrheit angenommen. Im
Unterland kennen wir solche Situa-
tionen schon (und sie werden auch
nicht immer optimal für Begegnung
und Austausch genutzt, das weiß ich
wohl), im restlichen Land sind sie die
Ausnahme. Es ist auf jeden Fall eine
deutliche Aussage, dass in Zukunft
Begegnung gewollt und nicht nur
geduldet ist. Das ist ein Fortschritt.
Mitgeteilt wurde mir indessen, auf
meine Anfrage hin, dass die Lärm-
schutzwände entlang der Neumarktner
Umfahrung wohl nicht so schnell
gebaut werden. Eine entsprechende
Bürgerinitiative war aktiv geworden,
aber der Lärm reicht nicht aus, um
die Wände in der Prioritätenliste nach
oben rutschen zu lassen. Komisch.
Mir kam’s laut genug vor.
Die Katastrophe indessen brach in den
letzten Wochen, unerwartet für uns
neue Abgeordnete, über die gesamte
politische Klasse herein. Die Renten
der Altpolitiker des Landtags wurden
veröffentlicht, samt Vorschusszah-
lungen teils in Millionenhöhe. Ein
Aufschrei der Entrüstung und des
Zorns ging durchs Land, zumal zu
Zeiten, in denen täglich von Entlas-
sungen, Betriebsschließungen und
Kürzungen im Landeshaushalt die
Rede ist. Verständlich. Ich sagte es
im Regionalrat: Die Bürgerin in mir
schreit ebenfalls vor Zorn und Empö-
rung. Wie konnte es sein, dass nie-
mand die verrückte Höhe der Beträge
errechnet hat? Auch meine grünen
Vorgänger gaben zu, hier zu wenig
aufmerksam ihrer Oppositionsaufgabe
nachgegangen zu sein.
Nun ist es passiert und das Vertrauen
der Menschen in die politische Ver-
tretung ist kaputt. Für jemand wie
mich, die am Anfang steht, ist das
eine schwere Hypothek. Wir werden
nicht nur eine Lösung für die Renten
finden müssen. Ich glaube, das ge-
samte politische System muss sich in
Frage stellen und neu erfinden. Denn
eine Politik, die sich nur an sich selbst
misst und nicht an den Menschen
und am realen Leben, die kann die
Menschen auch nicht vertreten.
Vielleicht gibt es hier eine kleine
Chance, aus dieser erschreckenden
Krise zu lernen.
Liebe Leserinnen und Leser,
Politik