Seite 8 - WIR_08_2013

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Gesundheit
SÜDTIROL
- Jeder Mensch kennt Zeiten der Niedergeschlagenheit und Zei-
ten, in denen er überglücklich ist. Auch starke Gereiztheit und Zornesaus-
brüche sind keinem Menschen fremd. Normalerweise passen Stimmungs-
schwankungen zur auslösenden Situation und dauern nicht sehr lange.
Manie, Sonnenlicht & Psychopharmaka
Wenn jemand aber ohne ersichtlichen Grund eine
Woche oder länger andauernd übermäßig heiter
oder sehr gereizt reagiert, dauernd in Lachen
oder in Wut ausbricht, und keine anderen Gefühle
mehr entwickelt, liegt ein psychischer Erkran-
kungszustand vor: die Manie. Im Sommer häufen
sich, vermutlich auch durch den Einfluss des
Sonnenlichts, sogenannte manische Episoden.
Dabei wirken Betroffene für Wochen oder Monate
überdreht, extrem aktiv, selbstsicher, unnatürlich
heiter oder gereizt, brauchen sehr wenig Schlaf,
essen viel und magern dennoch ab. Die Erkrankten
entwickeln meist einen Größenwahn, halten sich
für großartige Geschäftsleute, Politiker, Liebhaber
oder Religionsgründer. Sie sprengen soziale Regeln,
geben viel Geld aus, sind im sozialen Kontakt und
sexuell enthemmt, konsumieren unter Umständen
Alkohol oder Drogen. Sie leiden erstaunlicherweise
an erstarrt guter Stimmung und an zu viel Energie.
In aller Regel fühlen sie sich kerngesund, während
die Angehörigen das Zusammenleben mit ihnen
kaum mehr aushalten.
Vielfach nicht als Krankheit erkannt
Die Erkrankung ist so eigenartig, dass viele Men-
schen gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Dabei
entwickeln ungefähr 3% der Bevölkerung mehr
oder weniger ausgeprägte manische Zustände. Die
Selbstheilungsrate der Manie ist praktisch 100%
- früher oder später geht jede manische Episode
zu Ende. Allerdings haben Betroffene eine fast
100prozentige Wahrscheinlichkeit für Rückfälle in
erneute manische Episoden nach Monaten, Jahren
oder Jahrzehnten. Zusätzlich besteht bei ihnen eine
hohe Wahrscheinlichkeit, zwischenzeitig längere
depressive Krankheitszustände mitzumachen. Auch
diese gehen von alleine zu Ende, können aber quä-
lend lange bestehen bleiben und sind mit erhöhter
Suizidgefahr verbunden.
Die guten Nachrichten sind:
Zwischen den manischen und depressiven Episo-
den liegen oft lange Zeiten von völlig seelischer
Gesundheit. Mit zunehmendem Alter werden die
manischen Episoden auch seltener, kürzer und
leichter. Eine rechtzeitige Behandlung dieses ex-
trem beeinträchtigenden manischen Zustandes
verhindert die schlimmsten sozialen Folgen wie
Verarmung, Lösung der Partnerschaft oder Verlust
des Arbeitsplatzes. Dabei kommen heute verschie-
dene vorbeugende, beruhigende und konzentrati-
onsfördernde Medikamente zum Einsatz, die oft
kombiniert verabreicht werden müssen.
Wie viele moderne Errungenschaften werden Psycho-
pharmaka von der Öffentlichkeit sehr zwiespältig
gesehen, als Segen und Fluch zugleich. Einerseits
ist jedem klar: Erst durch Medikamente, die gegen
schwere seelische Leiden wirksam sind, konnten seit
den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts die
großen psychiatrischen Anstalten überall auf der
Welt geschlossen werden – die Behandlung kann
seitdem meist zu Hause und ambulant erfolgen.
Angst vor Chemie
Anderseits beunruhigt jeden Menschen die Tatsa-
che, dass chemisch in sein Gehirn eingegriffen,
sein Fühlen und Erleben verändert werden kann.
Psychopharmaka sollen deshalb zurückhaltend
verwendet werden und gehören in die Hand von
bestens ausgebildeten Fachleuten. Wenn es Alter-
nativen zu medikamentösen Behandlungen gibt,
sind diese fast immer viel eleganter und weniger
angstbesetzt. Ist eine Therapie mit Psychophar-
maka aber unumgänglich, so soll sie nach dem
Grundsatz „So wenig als möglich, aber so viel wie
nötig“ durchgeführt werden. Bei der Behandlung
der Manie ist die Hauptschwierigkeit allerdings,
dass sich Betroffene nur sehr selten überhaupt
krank oder verändert fühlen. Meist pochen sie mit
viel Energie auf „Selbstverwirklichung“ und wollen
dabei nicht gestört werden. Um sie zu Therapien
zu überreden, braucht es viel Geschick und Geduld.
Für Psychotherapien nehmen sie sich meist nicht
die Zeit, eher schon schlucken sie unter Aufsicht
gezielt wirksame Medikamente. Manche Betroffene
müssen von einem Krankenhausaufenthalt über-
zeugt werden, weil sie zu Hause zu viel Unruhe
stiften. Wenn die Manie überbordet und das soziale
Leben der Erkrankten schwer gefährdet, haben
Psychiater die unangenehmste Aufgabe – nämlich
die Betroffenen an der Psychiatrie zwangsweise zu
behandeln. Es ist erstaunlich, wie viele Geheilte
sich später dafür bedanken, dass man sie gegen
ihren Willen vor sich selbst geschützt hat.
Primar Dr. Roger Pycha,
Leiter der Europäischen
Allianz gegen Depression
in Südtirol
von Robert Adami
Spaß beiseite!
Verdauungskunst
Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen so
ist, mit der hohen Kunst, besonders mit
der modernen; ich persönlich habe da
manchmal so meine Verständnisproble-
me. Ich traue mich ehrlich gesagt z.B.
gar nicht mehr ins Museum für Moderne
Kunst in Bozen. Dort habe ich mich
unlängst nämlich eine halbe Stunde
lang an der posttrivial kathartischen
Sublimationskraft einer vermeintlichen
Kunstinstallation ergötzt, bis mich die
Putzfrau gefragt hat, was ich denn an
ihrem Eimer und dem Wischmopp so
interessant fände. Wie gesagt, ich bin
ein Banause. Aber die gute alte Mona
Lisa fand ich immer zum Anbeißen. Und
vielleicht bekäme ich in den verwirrten
Staaten von Amerika sogar Gelegenheit
dazu. Denn dem Museum für Moderne
Kunst von San Francisco ist nämlich eine
Konditorei angegliedert, deren Besit-
zerin sich jetzt darauf spezialisiert hat,
Naschwerk in Form bekannter Kunst-
werke anzubieten. Da kann man also
süße kulinarische Nachbildungen von
Museumskunstwerken kaufen und gleich
verinnerlichen, indem man sie verspeist.
Kulturkalorienbomben sozusagen. Kunst
für die Küche. Wobei…da kommt mir
ein Gedanke…das könnte doch auch
umgekehrt funktionieren… in meinem
Kühlschrank müsste doch noch ein
vergammeltes Stückchen Käsekuchen
liegen, und die Reste der verkohlten
Lasagne von letzter Woche sollten
auch noch da sein…welch wunderbare
Farbkombinationen…schimmelgrün und
kohlschwarz/Béchamel-beige, gepaart
mit der fragwürdigen Haptik verkochter
Eierbandnudelblätter…bei genauerem
Hinsehen wunderbare Exponate naiv-mo-
derner Küchenkunst, welche unbedingt
ausgestellt gehörten…sofern man mich
gut dafür bezahlt…ich muss sofort San
Francisco anrufen…
Aber Spaß beiseite. Sicherlich beseitigt
es den Hunger in der Welt nicht, wenn
ich hier mein Befremden darüber äußere,
dass Lebensmittel zu Pseudo-Kunstwer-
ken verarbeitet werden. Aber es scheint
mir, dass auf solche Ideen eigentlich nur
kommen kann, wer im Überfluss lebt.