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wurde, darf davon ausgegangen
werden, dass zumindest dem ge-
bildeten Tiroler Leser der Begriff
vertraut gewesen sein muss, so
dass er einer weiteren Erläuterung
nicht bedurfte. So mancher Tiro-
ler mag sich an den „deutschen
Rock“ des bayerischen Kronprin-
zen Ludwig erinnert haben, der
damit seine antinapoleonische
Einstellung manifestierte. Als
sich der Krieg Frankreichs und
seiner Verbündeten mit Preußen
und Russland zusammenbraute,
war dies für den Kronprinzen,
einen der lautesten Verkünder
der „Teutschheit“, zu einem fast
unerträglichen Gewissenskonflikt
gekommen. „Teutsch“ schrieb er
konsequent mit „T“, wegen der
damals weitverbreiteten Theorie
der Teutonenabstammung. Obwohl
der Vater des Kronprinzen ein in
Tirol wenig geliebter Landesherr
war (1806-1814), sympathisierte
Ludwig, der Napoleon als Satan
bezeichnete, mehr oder minder
offen mit den Tirolern, die für
ihn keine Aufständischen sondern
Freiheitskämpfer waren. Voll Be-
geisterung schrieb er die Verse:
Auf ihr Teutschen!
Auf und sprengt die
Ketten, Die ein Corse
euch hat angelegt,
Eure Freiheit könnet
Ihr noch retten
Teutsche Kraft, sie
ruhet unbewegt.
Nach Napoleons katastrophaler
Niederlage im Russlandfeldzug
1812, die zur Vernichtung der
Grande Armée geführt hatte, be-
gannen 1813 die sogenannten
Befreiungskriege, mit dem mili-
tärischen Ziel Frankreich auf die
Grenzen von 1793 zu beschränken.
Zugleich sollte das monarchische
System Europas so restauriert wer-
den, wie es vor den napoleoni-
schen Wirren war. Die deutschen
Gebiete, und besonders auch Tirol,
hatten unter der französischen
Vorherrschaft und Besetzung viel
zu leiden gehabt und allenthalben
war der französische Einfluss zu
spüren, auch in der Mode. Die-
se folgte im Wesentlichen der
Strömung des klassizistischen
Empire-Stils, der von Frankreich
ausging. Auch in Deutschland
war diese französische Mode auf-
gegriffen worden und wurde von
Bürgertum und Adel getragen.
Als 1812/13 mit der Koalition zur
Befreiung Mitteleuropas von der
französischen Herrschaft auch das
deutsche Nationalgefühl erwachte,
wurde diese französische Mode
von den breiten Volksschichten
abgelehnt. Als „französische
Modethorheit“ bezeichnet, wur-
de Mode aus Frankreich mit der
Fremdherrschaft gleichgesetzt.
Es kam zu einer bekleidungsge-
schichtlichen Reaktion auf die
französische Führungsrolle im Mo-
desektor, die in der Entstehung der
Diesen Beitrag hat Univ.-H.Prof. Doz. DDr.
Helmut Rizzolli, Obmann der „Arbeits-
gruppe Unsere Tracht“ für Sie verfasst.
„altdeutschen Tracht“ mündete.
Dabei baute diese Bekleidung
grundsätzlich auf der vorherr-
schenden Mode der Zeit auf, er-
gänzte sie aber durch Elemente
aus dem 16. Jahrhundert. Die-
se Zeit galt vielen als frei von
französischem Einfluss, der mit
Ludwig XIV. (1638-1715) begon-
nen hatte, und damit als typisch
deutsch. In der Damenkleidung
finden sich plötzlich gepuffte Är-
mel wieder, die ebenso wie der
Saum der langen dunklen Röcke
geschlitzt und mit andersfarbigem
Stoff unterlegt waren, wie dies
etwa aus der Mode der Lands-
knechte bekannt war. Zudem kam
in den Damenmode wieder die
Halskrause auf, die am Rücken
gestärkt und aufgestellt wurde.
Bei den Männern findet sich der
lange, eng geschnittene Rock,
mit weit geöffnetem Kragen und
einer weit geschnittenen Hose. Als
Kopfbedeckung wurde ein häu-
fig aus Samt hergestelltes Barett
getragen. Die vorherrschende
Modefarbe war schwarz. Bewusst
ungepflegte Haare und Bart soll-
ten den Gegensatz zur französi-
schen Mode noch unterstreichen.
Die neue Mode war aber nicht
nur Ausdruck antifranzösischer
Haltung, sie stand auch für politi-
sche Neuerungen wie Liberalismus
und ein nationales Einheitsbestre-
ben. Es ist deshalb verständlich,
dass nach dem Zusammenbruch
der französischen Armee, der
Entmachtung und Verbannung
Napoleons und der politischen
Restauration im Wiener Kon-
gress diese Mode und die durch
sie ausgedrückte Gesinnung auf
Ablehnung in den nun wieder
etablierten Monarchien stieß.
Das Verbot in Preußen vom 9.
März 1820 bildete daher nur den
unvermeidlichen Schlusspunkt
dieser kurzlebigen Entwicklung
in der Bekleidungsgeschichte.
Das Bürgertum zog sich, ent-
täuscht von den Ergebnissen
des Wiener Kongresses, oh-
nehin immer stärker aus dem
politischen Leben zurück, was
letztlich zum Kulturphänomen
des Biedermeier, verbunden
auch mit entsprechenden mo-
dischen Erscheinungen, führte.
Die Altdeutsche Tracht dürfte sich
in Tirol kaum durchgesetzt haben,
doch hat man durch Reisende und
durch die schon damals verbrei-
teten Modejournale im hießigen
Bürgertum von dieser Bekleidung
offensichtlich gewusst, so dass es
im „Tiroler Bothen“ vom Jänner
1821 zum preußischen Verbot kei-
ner weiteren Erklärung bedurfte.
Mit seinem Bildnis im „deutschen Rock“
legte Kronprinz Ludwig von Bayern ein
antinapoleonisches Bekenntnis für seine
„teutsche Gesinnung“ ab. (Ölbild von
Joseph Stieler; Archiv H.Rizzolli)
Verbot der altdeutschen Tracht in Preußen, abgedruckt in der Neujahrsbeilage zum
„Bothen für Tirol und Vorarlberg“, 1. Jänner 1821.
Der Neue Altdeutsche. Karikatur auf die Altdeut-
sche Tracht und das deutsche Nationalbewusstsein:
„Teutsch ist mein Sinn, und mein Gewand – vom
feinsten Tuch aus Engeland“.
Kunst & Kultur