Seite 9 - PLUS_02_2014

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Ein Hundeleben
von Barnie Labrador
Generationsunterschiede
Mmmmmhh. Wenn Hunde schnurren könnten,
dann würde ich das jetzt tun. Als Labrador, der
ich bin, schaue ich eben nur höchst zufrieden
drein und lasse mich weiter am Hals kraulen.
Joe macht das aber auch wirklich gut. Das Mädel
hat sicher schon einmal einen Hundekraulkurs
belegt. Sie fragen sich jetzt sicher, was denn
Joe für ein Name für ein Mädchen sein soll.
Ich jedenfalls habe mich das gefragt. Denn
eigentlich heißt Joe in Wirklichkeit Josefine
und kommt aus Bochum. Aber Josefine heißt
anscheinend lieber Joe. Schon komisch. Aber
wahrscheinlich verstehe ich es nur nicht, weil
ich eben ein Hund bin.
„Josefine…“
„…den Namen verwendet nur meine Mutter.
Bist Du meine Mutter?“
Sehen Sie? Mein Frauchen, Fräulein Rita, kann
sich auch nicht an „Joe“ gewöhnen. Aber Jose…
pardon, Joe heißt offensichtlich wirklich lieber
Joe.
„Entschuldige … Joe, mogsch a an Tee?“
Joe schneidet eine Grimasse.
„Danke, Rita, aber so starkes Zeug vertrage ich
am späten Nachmittag einfach noch nicht.“
Mein Frauchen lacht nur und geht wieder in
die Küche. Wenn ich ein Mensch wäre, würde
ich wahrscheinlich auch lachen. Denn Joe ist
zwar ziemlich vorlaut und manchmal sogar ein
bisschen unverschämt, aber sie ist ein lieber Kerl.
Joe ist die Tochter einer sehr guten Bekannten
meines Frauchens, und sie ist hierhergezogen,
um zu studieren. Und da mein Frauchen und
ich in einer ziemlich großen Wohnung leben und
Platz haben, wohnt Joe jetzt eben auch hier bei
uns. Was ich durchaus begrüße; wie gesagt, das
Mädel kann bombastisch gut kraulen…
„…komm Barnie, mein Braver, Frauchen schaut
gerade nicht her, es gibt einen Hundekeks!“
… und sie steckt mir bei jeder Gelegenheit einen
extra Hundekeks zu. Wenn sie ihr Studium hier
durchzieht, werde ich auf meine Linie achten
müssen.
Drrrriiiiiin.
Oh, die Türklingel
„Ah, Herr Reiterer, kemmens lei einer, i war
grod bein Tee mochen“, höre ich mein Frauchen
von der Tür sagen.
„Jo, danke, Fräulein Rita, genau des hon i
ghofft zu hearn.“
Schau an, der Paragraphen-Reiterer. Jedenfalls
hat mein Frauchen ihn früher immer so genannt.
Herr Reiterer arbeitet nämlich auf dem Amt und
war früher immer furchtbar griesgrämig; aber
seit er und mein Frauchen sich etwas besser
kennengelernt haben, kommt er des Öfteren
auf ein „Ratscherle“, wie er immer sagt, vorbei.
Seither ist er auch nicht mehr so griesgrämig.
Eigentlich ist er ein netter, älterer Herr. Vielleicht
war er auch immer nur so griesgrämig, weil ihm
bei der Arbeit nie jemand zuhört. Wer weiß?
„Kemmen‘s einer, Herr Reiterer, setzen’s sich lei
nieder, i bring glei in Tee. Dorf i glei vorstellen?
Des isch meine neue Untermieterin, die Jose…
entschuldigung, Joe. Sie isch die Tochter vun
a guaten Bekonnten aus Deutschlond. Joe,
des isch der Herr Reiterer.
Herr Reiterer nickt nur und schaut etwas ent-
geistert drein. Vielleicht liegt das daran, dass
Joe einen ziemlich kurzen Rock und darunter
zerrissene Wollstrümpfe trägt. Oder an ihren
Springerstiefeln. Vielleicht auch an dem vielen
Schmuck im Gesicht und den Ohren. Piercing heißt
das glaube ich. Oder der Herr Reiterer wundert
sich darüber, dass Joe’s Friseur offensichtlich
keine Zeit mehr gehabt hatte, ihre Frisur fertig
zu machen und deshalb nur eine Seite des Kopfes
kahlrasiert und die übrigen Haare lang gelassen
hat. Womöglich gefällt ihm auch die schwarze
Augenschminke in Verbindung mit dem pinken
Lippenstift nicht. Oder dass die übrig geblieben
Haare blau gefärbt sind. Wie auch immer, Joe
nickt ebenfalls und meint:
„Hei Alder, was geht ab?“
„Wie bitte?“
„Was geht, Alder?“
„Aber … Sie können mich doch nicht einfach
„Alter“ nennen…“
„Na, ganz taufrisch sind Sie ja nicht mehr
wirklich, oder?“
„Na ja, ich bin 61…“
„Na also. Außerdem sagt man das eben so. Das
hat nichts mit dem Alter zu tun, das ist einfach
so eine Art Anrede.
„Ach so…“
Herr Reiterer blickt etwas verunsichert drein, wäh-
rend mein Frauchen mit der Teekanne erscheint.
„Benimm di, Joe…“
Joe grinst; wie gesagt, manchmal ist sie etwas
unverschämt. Während Frauchen sich und Herrn
Reiterer Tee einschenkt, kramt Joe ihr Handyphon
(oder wie nennt ihr Menschen diese komischen
Dinger) und fängt an, zu fotografieren.
„Was werd des, wenn’s fertig isch?“, möchte
Frauchen von ihr wissen.
„Was wohl? Ich fotografiere … dann stelle ich
die Bilder auf meine Facebook-Seite, damit ich
meinen Freunden zeigen kann, wie ich an die-
sem Teekränzchen
teilnehme. Das ist
so voll krass retro,
wisst ihr?“
Herr Reiterer scheint
leicht irritiert zu
sein, und Frau-
chen meint:
„Dass es jungen
Hupfer a dauernd
mit enkre Handys spielen miast…
hobs nix Anspruchsvolleres zu tian?“
Herr Reiterer hingegen sagt dann etwas, was ich
nicht verstehe, das aber lustig klingt:
„Beati pauperes spiritu…“
Worauf Joe meint:
„…quoniam ipsorum est regnum caelorum.“
Herrn Reiterers Unterkiefer fällt fast auf das
Sofa. Er starrt Joe jetzt richtig entgeistert an,
und diese lacht.
„Was, Alder? Glückselig die Armen im Geist,
denn ihrer ist das Reich der Himmel. Denkste,
ich kann kein Latein?“
„Äh…nun…ja…also…“
Frauchen springt in die Bresche.
„So kann man sich täuschen, Herr Reiterer.
Joe sieht vielleicht nicht so aus, aber sie hat
ihr Abitur mit Auszeichnung gemacht und ist
eine richtige Musterstudentin.“
Herr Reiterer gewinnt seine Fassung langsam
wieder.
„Da hat mich der erste Eindruck wohl sehr in
die Irre geleitet; na ja, es muss ja nicht immer
ein Tailleur sein.“
„Gruftikluft“,
verbessert ihn Joe, und Herr
Reiterer lacht.
„Ok, es muss nicht immer Grufti-Kluft sein…“
Mein Labrador-Instinkt sagt mir, dass die bei-
den vielleicht nochmal richtig dicke Freunde
werden …
„Genau. Und jetzt fotografiere ich auch noch
den Barnie und stelle ihn ebenfalls ins Netz.
Dann sieht die ganze Welt, was ich für einen
hübschen Mitbewohner habe.“
Schmeicheln kann sie auch, diese Joe! Ich bin
ja sonst nicht eitel, aber so etwas höre ich na-
türlich gerne. Ich begebe mich also in Foto-Pose:
Stolzer Hundeblick, leicht geöffnetes Mäulchen,
die Ohren nach hinten. Ich sehe gut aus. Wie die
haarige Version von Clark Gable. Und das muss
mir erst einmal jemand nachmachen.
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