Ästhetik des Tanzes in blau
P
LUS: Frau Pasquali, wie ka-
men Sie zum Tanzen bzw.
der Tanz zu Ihnen?
Alessandra Pasquali: Die Freun-
din meiner Mutter führte in
Bozen eine Ballettschule. Dort gingen
meine Schwester und ich auch hin.
Anfangs durfte ich nur zuschauen, ehe
ich mit acht Jahren auch mittanzen
durfte. Mit 13 Jahren wurde ich beim
ersten Bozner Ballett-Sommer „ent-
deckt“. Ein Jahr später besuchte ich
in London ein Ballettschulen-Internat,
das mit dem normalen Schul- auch
sieben Stunden Ballettunterricht auf-
wies. Trotz Heimweh nutzte ich die
Chance…
PLUS: Wieso wird man Tänzerin?
Was treibt Sie genau an?
Alessandra Pasquali: Ich glaube, dass
die Leidenschaft für den Tanz alle
Tänzer eint. Die Leidenschaft treibt
uns immer wieder an. Wenn man ein-
mal davon gekostet hat, widmet man
sein ganzes Leben dem Tanz. Man ist
immer Tänzerin, rund um die Uhr, und
alles was man tut, reflektiert man auf
die Arbeit: Tanz ist ein Lebensstil.
PLUS: Welche Eigenschaften muss
eine gute Tänzerin aufweisen?
Alessandra Pasquali: Der Körper ist das
Werkzeug für eine gute Tänzerin. Das
klassische Ballett ist die härteste
Tanzkunst unter den Tänzen. Die Pro-
portionen des Körpers müssen stimmen;
man muss gelenkig sein und benötigt
einen guten Spann. Auch muss man
Musikalität und Koordinationsvermö-
gen mitbringen. Weiters dürfen die
eiserne Disziplin und eine große Wil-
lensstärke nicht fehlen. Zu allem gehört
noch das Quäntchen Glück.
PLUS: Wie lautet Ihre ganz persön-
liche Definition von Disziplin?
Alessandra Pasquali: Man muss immer
mehr aus sich machen, als man möch-
te. Man versucht ständig, die eigenen
Grenzen zu überwinden oder auszu-
dehnen. Das muss man in sich tragen;
keiner kann das „von außen“ bringen.
Das Wichtigste ist jedoch, nie aufzu-
geben. Man kann nicht jeden Tag alles
erreichen, aber man muss die Stärke
haben, immer weiter zu machen.
PLUS: Der Tanz ist ein Hochleis-
tungssport. Was tun Sie, um Ihre
körperliche Leistungsfähigkeit zu
erhalten?
Alessandra Pasquali: Tanz ist für mich
kein Hochleistungssport, Tanz ist Kunst!
Der Tänzer verfügt über den Körper
eines Sportlers, wenn es um das Training,
die Muskeln, die Kondition und die
Ausdauer geht. Aber das reicht nicht,
um ein Tänzer zu sein. Als Tänzer
verkörpert man Rollen, in die man
Persönliches einfließen lässt, und auf
der Bühne zum Leben erweckt. Ich will
auch das Publikum unterhalten. Und
das sind oft über 1.500 Menschen pro
Vorstellung.
PLUS: Frau Pasquali, erlaubt oder
verbietet Ihre Arbeit den Ausdruck
von Gefühlen?
Alessandra Pasquali: Beides. Zum einen
muss man auf der Bühne eigene, per-
sönliche Gefühle unterdrücken oder zur
Seite schieben, weil man auf der Büh-
ne eine Rolle verkörpert. Andererseits
gestattet einem die Bühne, unglaubli-
che Gefühlswelten zu erfahren und zu
durchleben. Emotionale Höhen und
Tiefen, Freud und Leid, Sehnsucht und
Schmerzen wechseln sich ab. Man den-
ke an die Rolle der Tatjana in Onegin
oder jene der Julia in Romeo und Julia.
PLUS: Bleibt das Lebensmotto von
Alessandra Pasquali…
Alessandra Pasquali: Genießen, genießen,
genießen! Auch wenn es schwer ist,
bleibt mein Beruf der tollste der Welt.
Man muss immer im Blick behalten, wie
glücklich man sich als Tänzerin schät-
zen kann, wenn man in einem solch
renommierten Ensemble wie jenem des
Staatsballetts Berlin engagiert war. Man
sollte dankbar sein, das erreicht zu
haben und es genießen, solange man
auf der Bühne steht. Ich habe jede
Sekunde als Tänzerin geliebt, und habe
heute als Ballettmeisterin viele tolle
Erinnerungen daran.
„Für mich ist Tanz ein Lebensstil“
Pure Körperbeherrschung
Foto: Enrico Nawrath
Foto: Sandra Hastenteufel
Foto: Enrico Nawrath
Alessandra Pasquali
BOZEN -
(ar) Alessandra Pasquali ist eine begna-
dete Tänzerin. Sie gehörte dem Ballett der Wiener
Staatsoper an, und sorgte zwischen 2005 und
2011 beim Staatsballett in Berlin für Furore.
Seit 2011 ist sie Ballett- und Trainingsmeisterin.
Im Gespräch spricht Pasquali über ihre Liebe
zum Tanz, die Eigenschaften der Tänzerin und
vieles mehr.
17
Porträt