Seite 34 - PLUS_18_2013

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Geschätzte Leser,
wie Sie wohl alle miterlebt haben, ist viel gesche-
hen im Rom der letzten Tage. Silvio Berlusconi hat
seine (All)Macht überschätzt und zu hoch gepokert,
vielleicht das letzte Aufbäumen eines verwundeten
Löwen, dessen Pranken keinen mehr nachhaltig
gefährden können. Die (relativ) jungen Minister
des PDL haben offen gemeutert, eine Thronfolge
steht an im Hause Berlusconi und der Alte muss
alle Register ziehen, damit ihm das Heft nicht
ganz aus der Hand genommen wird.
Das Klima hat sich spürbar verändert. Ministerprä-
sident Letta hat deutlich an Autorität gewonnen,
seine Reaktion auf den Druck Berlusconis und auf
die von ihm ausgelöste Regierungskrise (die dann
letztendlich doch keine war) war meisterhaft, ein
Lehrbuch intelligenter Kriegsführung und eine Ohr-
feige für all die Marktschreier, die Letta kein - oder
zumindest nicht dieses - Rückgrat zugetraut haben.
Natürlich weiß Letta den ‚Altvater‘ Napolitano hinter
sich, der ihm den Rücken stärkt und moralische
Autorität verleiht.
Es scheint so (die Möglichkeitsform ist in Rom
geboten, denn Gewissheiten sind hier trügerisch
und haben oft kurze Beine), dass im Zuge dieses
Gefechtes letztendlich nur das ‚Südtiroler’ Regie-
rungsmitglied Biancofiore auf der Strecke geblieben
sein könnte. Das Mitgefühl ist beschränkt, die
Nachrufe bescheiden und der Ruf nach Wieder-
gutmachung kaum hörbar.
Dass sich Staatspräsident Napolitano nun der
Möglichkeit eines Strafnachlasses oder einer Am-
nestie öffnet, lässt im Moment die Wogen höher
schlagen. Zu viele sehen darin schon die ersten
Schritte der Operation zur Rettung Berlusconis,
Grillo sieht sich in seinen - ohnehin schon zur
lieben Gewohnheit gewordenen - Attacken auf
Napolitano bestätigt und die Diskussion, obwohl
noch kaum begonnen, wird schon heftig und mit
Rundumschlägen übelster Natur geführt.
Es ist überhaupt nicht einfach, in der Aula des
Abgeordnetenhauses sachliche Diskussionen zu
führen. Selbst Parlamentskollegen, die in den
unterschiedlichen Ausschüssen maßvolle und vor
allem Themen orientierte Beiträge liefern, ver-
wandeln sich in der Aula in lautstarke, tobende
und an Weltuntergang mahnende (Markt)Schreier
... Show für ein Publikum, das es nicht gibt (oder
vielleicht doch?), Fassade für ein Volk, das von
Politik und Politikern die Nase voll hat und wohl
auch Balsam für die eigene Seele und das eigene
Selbstbewusstsein, wenn Parteikollegen nach
gelungener Performance dem erschöpften Redner-
genius Hände schütteln, Schultern klopfen und für
besondere Einlagen noch Küsschen bieten.
Professionell (oder vorbereitet) agieren die Grillini
zumindest in der Selbstdarstellung: bei der Endab-
stimmung über das Gesetzesdekret gegen Gewalt an
Frauen beteiligt sich die gesamte Mann/Frauschaft
nicht an der Abstimmung, verlässt aber nicht die
Aula, sondern erhebt sich schweigend - eine Art
von stummer Protest gegen Art und Vorgangsweise
(selbstverständlich nicht gegen das Thema). Das
ist Recht (und manchmal wohl auch einzige Mög-
lichkeit) von Opposition!
Alles in allem aber wird hier gearbeitet, vor allem
in den Kommissionen, und es werden Gesetze ver-
abschiedet, von denen einige schon bald wieder
geändert werden dürften, andere sich als überflüssig
heraus stellen und wenige konkrete Erfolge feiern.
Für diese lohnt sich aber die Arbeit.
Grüße aus Rom, wo ein Ministerpräsident stärker
ist als man ihm je zugetraut hat.
Manfred Schullian
Kammerabgeordneter
Geschrieben am
10. Oktober 2013
von Robert Adami
Spaß beiseite!
Tierisches Glücksspiel
„So eine Bagage! Ein Rückgrat wie ein
Vanillepudding allesamt! Nur weil der
verkalkte Grinser des sagt, wollens jetzt
alle zurücktreten!“ Mit ihren 89 Jahren
sieht meine Tante Hilde das politische
Geschehen, vor allem das nationale, meist
mit einem gewissen Gleichmut. Doch der
Rücktritt der Berlusconi-Minister schien
ihr irgendwie in die Glieder gefahren zu
sein. „Ja, wo leben wir denn, wenn so
ein Knastbruder in Spe bestimmen kann,
was die Minister machen?“ Ich versuch-
te, Tantchen ein bisschen zu beruhigen
und sagte: „Tja, so ist das eben mit dem
Fraktionszwang.“ Tante Hilde konnte
mit meinem Einwurf nichts anfangen.
„Papperlapapp Fraktionszwang! Wenns
nur das Handerl aufheben so wie der
Herr mit dem Kunstrasen auf dem Kopf
des will, dann könn’ mer auch gleich
eine Horde Schimpansen ins Parlament
setzen. Oder ein paar Schafe, die sind
auch gut im Leithammelverfolgen.“ Ok,
eine Affenschaf-Fraktion im Parlament;
das wäre doch mal etwas Neues. Tante
Hilde indes war nun erst richtig in Fahrt
gekommen: „Aber eins sag ich Dir: Wenn’s
Neuwahlen gibt, dann geh ich nicht hin!
Wär eh gscheider, wenn man die Parla-
mentsplätze verlosen würde, dann könnt
der Staat noch etwas dran verdienen!“
„Aber Tantchen, Du kannst doch nicht
ernsthaft die Plätze von demokratischen
Volksvertretern einfach verlosen wollen!“,
echauffierte ich mich. „Wieso net? Wir
ham doch im Parlament abgesehen von
nie anwesenden Leistungssportlern auch
schon eine Pornodarstellerin g’habt, einen
Haufen Leut mit Gerichtsverfahren und
jetzt auch noch einen verurteilten Steuer-
hinterzieher! Statistisch gesehen kann es
bei einer Lotterie auch net viel schlimmer
werden, oder?“
Aber Spaß beiseite. Die Regierungskrise
ist abgewendet, und Tante Hildes Polit-
ideen mögen fragwürdig sein; aber haben
Sie nicht auch manchmal den Eindruck,
dass die römische Politik bisweilen stark
zwischen Affentheater und Glücksspiel
pendelt?
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