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Georg Gasser
INNSBRUCK/JENESIEN
- (ar) Der in Jenesien
aufgewachsene Georg Gasser (34) hat in Inns-
bruck, London und Notre Dame (USA) Philosophie
und Katholische Theologie studiert. Im Gespräch
mit der „PLUS“ spricht der wissenschaftliche
Mitarbeiter am Institut für Christliche Philosophie
in Innsbruck über sein Projekt „Analytic Theology“,
das besser Verständnis von Theologie und
Philosophie und vieles mehr.
Herr Gasser, kann der christli-
che Glaube von der Philosophie
auch etwas lernen? Wenn ja,
was?
Glaube ohne kritisches Nachden-
ken ist blind und wird zur Ideo-
logie. Die Philosophie hilft dem
Glauben, überlieferte Annahmen
nicht einfach als selbstverständ-
lich zu akzeptieren, sondern zu
hinterfragen. Insofern ist die Phi-
losophie eine notwendige Quelle
für einen lebendigen und reflek-
tierten Glauben, der sich mit der
Welt auseinandersetzt und sich
nicht von ihr verschließt. Es ist
interessant zu sehen, dass das
Christentum von Beginn an den
positiven Wert der Philosophie
betont hat. So haben sich die
Kirchenväter der Antike intensiv
mit der griechischen Philosophie
auseinandergesetzt.
Welche Zutaten benötigt ein
Mensch, um die Theologie und
die Philosophie besser zu ver-
stehen?
Die Neugierde und Hartnäckig-
keit, bestimmte Dinge verstehen
zu wollen, sind Grundvorausset-
zungen für jede Wissenschaft.
Philosophie und Theologie unter-
scheiden sich von den Einzelwis-
senschaften vielleicht besonders
darin, dass sie die unterschied-
lichen Aspekte der Wirklichkeit
in ein Gesamtbild einzuordnen
versuchen und sich mit Wissens-
bereichen beschäftigen, die sich
nicht direkt „angreifen“ und
„messen“ lassen. So kann ich
etwa die Frage, worin der Sinn des
Lebens besteht, nicht im Labor
messen und es gibt darauf keine
eindeutige, ein für alle Mal gültige
Antwort, sondern je nach philo-
als sehr religionskritisch. In der
Zwischenzeit beschäftigen sich
aber viele analytische Philosophen
mit religiösen Fragen (z. B. Lässt
sich die Existenz Gottes beweisen?
Wodurch zeichnen sich religiöse
Erfahrung aus? Ist es rational, an
Gott zu glauben? usw.). Daher wird
eine engere Zusammenarbeit mit
Theologen angestrebt.
Mit welchen Forschungsfragen
beschäftigen Sie sich gegen-
wärtig?
Mein Hauptforschungsgebiet ist
die Handlungstheorie. Es geht um
die Frage, worin sich menschliche
Handlungen von Reflexen und Au-
tomatismen unterscheiden. Die
Bedeutung dieser Frage liegt auf
der Hand: Ich kann nur für jene
Handlungen zur Verantwortung ge-
zogen werden, die ich auch bewusst
wähle und kontrolliere. Insofern ist
die Handlungstheorie eng mit den
Themen moralische Verantwortung,
rationale Entscheidungsfindung
und der Ethik verknüpft. Zudem
beschäftige ich mich mit der Frage,
was Personen von Nicht-Personen
unterscheidet und welche Antwor-
ten die mittelalterliche Philosophie
dazu gibt.
Worin würden Sie abschließend
die Aufgabe und Verantwortung
eines christlichen Wissenschaft-
lers sehen?
Jeder Wissenschaftler sollte sich
der Verantwortung bewusst sein,
die mit seiner Tätigkeit verbunden
ist – unabhängig davon, ob er ei-
nen christlichen Hintergrund hat
oder nicht. Diese Verantwortung
zeigt sich z. B. in der Auseinan-
dersetzung mit möglichen Folgen
gewonnener Erkenntnisse oder
in der Bereitschaft, bei überzeu-
gender Kritik durch Kollegen die
eigene Theorie zu ändern. Das
kann schmerzhaft sein – schließ-
lich investiert man viel Zeit und
Energie in seine Theorien. Schließ-
lich sollte ein Wissenschaftler
das Ganze nicht aus dem Blick
verlieren: Jede wissenschaftliche
Tätigkeit findet in einem sehr
spezialisierten Kontext unter
Gleichgesinnten statt. Man läuft
Gefahr, „betriebsblind“ zu werden
und die Vielfalt und Komplexität
der Wirklichkeit zu unterschätzen.
„Der Glaube
braucht die Vernunft“
sophischem Ausgangspunkt kann
jemand zu ganz unterschiedlichen
Antworten kommen.
Derzeit koordinieren Sie das
„Analytic Theology Project“. Was
versteht ein Laie darunter?
Das „Analytic Theology Project“
ist ein Projekt mit Standorten in
mehreren europäischen Staaten,
das die Zusammenarbeit zwischen
analytischen Philosophen und
Theologen fördert. Die analytische
Philosophie galt in ihren Anfängen
Berufsbedingt blättert Georg Gasser in alten Büchern
Portrait