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Psychisch kranken Rechtsbrechern eine Chance
Seit 2007 kündigt die Regierung
in Rom praktisch jährlich an,
sie werde die Haftanstalten für
psychisch kranke Rechtsbrecher
auflösen. Bisher sind verurteilte
Täter, die schwere Verbrechen
im Zustand einer psychischen
Krankheit begangen haben und
möglicherweise weiter gefähr-
lich werden, in 6 psychiatrischen
Haftanstalten über ganz Italien
verstreut.
Die nächste dieser Einrichtungen
befindet sich in Castiglione delle
Stiviere bei Peschiera am Garda-
see. Es ist die modernste psychia-
trische Haftanstalt Italiens, in der
auch viel therapeutische Arbeit
geleistet wird. Die Atmosphäre
dort legt nicht nur Bewachung
und Verwahrung nahe. Auch
verurteilte Frauen können dort
untergebracht werden.
Psychisch kranke Straftäter aus
Südtirol aber müssen nach Reggio
Emilia, wo ein deutlich weniger
therapeutisches Milieu auf sie
wartet. Um ihren Aufenthalt dort
zu verkürzen und ihnen eine ge-
eignete Rehabilitation zu ermög-
lichen, erarbeiteten der Brixner
Psychiatriepimar Josef Schwitzer
und ich ein Konzept, das bald al-
len psychiatrisch Internierten aus
Südtirol zugute kam. Kontakte
zu den forensischen Psychiatern
Carlo Andrea Robotti und Stefano
Biasi verliefen positiv. Man ver-
einbarte, die sozialpsychiatrische
Einrichtung „Villa San Pietro“
in Arco für psychisch Kranke zu
nutzen, die aus der Haftanstalt
kamen und weiterer Aufsicht und
Begleitung bedurften. Das Zen-
trum besitzt einen weiten, von
einer Mauer umgrenzten Bereich
als natürliches Hindernis.
Das Assessorat für das Gesund-
heitswesen begrüßte den Plan
und schloss 2007 bereitwillig eine
Konvention mit Villa San Pietro
ab – drohte doch die Schließung
aller psychiatrischen Haftanstal-
ten Italiens. 15 Plätze in der Villa
San Pietro konnten auf diese
Weise für Südtiroler Patienten
reserviert werden.
Sie waren innerhalb weniger Mo-
nate voll belegt. In den folgenden
Jahren bewährte sich Villa San
Pietro als Ort der Rehabilitati-
on für psychisch schwer kranke
Straftäter. Einzelne Betroffene
wurden von Richtern sogar di-
rekt dorthin verwiesen, unter
Umgehung der psychiatrischen
Haftanstalt. Andere konnten
die dreistufige Rehabilitation
durchlaufen, die wir vorgese-
hen hatten: aus der Haftanstalt
in die Rehaeinrichtung Villa San
Pietro und von dort zurück in
die Einrichtungen der Südtiro-
ler Psychiatrischen Dienste, vor
allem in geeignete Wohnheime.
Dank dieses für Südtirol neuen
Weges entstand eine kompeten-
te Gerichtspsychiatrie im Land.
Mehrfach konnten über Jahre
betreute Straftäter auch nach
Hause entlassen werden, da sie
nach Besserung oder Aushei-
len ihres psychischen Leidens
für die Gesellschaft nicht mehr
gefährlich waren. Diese Erfolge
vollzogen sich unter Ausschluss
der Öffentlichkeit.
Im „Comitato Interregionale per
la Salute Mentale“ in Rom be-
obachtete ich als Vertreter un-
seres Landes von Jahr zu Jahr,
dass zwar die Abschaffung der
psychiatrischen Haftanstalten
politisch laut gefordert wurden,
sich die Fachleute aber insgeheim
einig waren, dass keine rechte
Alternative dazu bestand. Aller-
dings ging die Zuständigkeit für
diese Einrichtungen nach langem
Ringen vom Justizministerium
an das Gesundheitsministerium
über. Das waren keine reinen
Sandkastenspiele, um Geld um-
zuverteilen. Dahinter stand die
Idee, dass im Gesundheitswesen
eher eine therapeutische und
heilende Ausrichtung für schwer
kranke Täter entstehen könnte,
die – denn inzwischen griff die
Sparsamkeitsidee einschneidend
in die Politik ein - am besten
auch weniger kosten sollte. Das
war natürlich reine Illusion. Für
Südtirol schlug man vor, das neu
zu errichtende Bozner Gefängnis
mit einem forensischen Trakt
für psychisch kranke Täter aus-
zustatten. Die Planung dieses
Anliegens wurde vom Assessorat
gutgeheißen und der Psychiatrie
Bozen übertragen. Parallel dazu
beteiligte man sich auch am Plan,
für mehrere Regionen des Nordens
gemeinsam eine moderne psychi-
atrische Sicherheitseinrichtung in
Castelfranco in der Emilia Romag-
na zu bauen. Dieses Unternehmen
erscheint inzwischen illusorischer
als das recht konkrete Gefängnis
in Bozen. 2012 und 2013 hat
Italien wieder erklärt, bis 31.
März alle 6 gerichtspsychiatri-
schen Anstalten aufzulösen und
1.388 psychisch kranke Täter
anderswo unterzubringen. Der
Termin ist längst verstrichen,
auf den April 2014 verschoben.
Claudio Mencacci, der Präsident
der Italienischen Psychiaterver-
einigung, warnt: “Alternative
Einrichtungen sind erst in Pla-
nung. Vor 2015 wird es keine
geben“. Italiens Psychiater wollen
verhindern, dass man psychisch
kranke Straftäter einfach entlässt
oder an die Herkunftspsychiatrien
schickt. Diese müssten dann von
Therapiestätten zu Sicherheits-
trakten werden. Südtirol braucht
folglich eine gerichtspsychia-
trische Einrichtung hoher und
mittlerer Sicherheitsstufe mit
ca. 20 Betreuungsplätzen. Die
Landesregierung sucht auch nach
Zwischenlösungen, hat 6 Plätze
in der Therapiestätte St. Isidor
bei Bozen bewilligt. In der von La
Strada-der Weg geführten Einrich-
tung sollen Täter unterkommen,
die nur niedriger Sicherheitsstufe
bedürfen. Dass der bisherige Weg,
nämlich die Unterbringung in
Villa San Pietro in Arco für Men-
schen in mittlerer Sicherheits-
stufe überhaupt nicht schlecht
war, und unbedingt fortgesetzt
werden soll, beweist die Beset-
zung: Zur Zeit befinden sich dort
13 Bozner Patienten, 1 Brixner
und 2 Pustertaler. Vor allem aber
beweist es die Bezahlung: Für
Arco mit höherer Sicherheitsstufe
zahlt das Land knapp 4.000
im Monat pro Patient, für Sankt
Isidor bei niedriger Sicherheits-
stufe 9.000
.
14. - 24. Dezember
am Ritten
von 09.30 - 12 und
13.30 - 16 Uhr
Direktverkauf in der Anlage
am Gasterer See
(Straße nach Oberbozen)
mit gratis Glühwein
Tel. 348 662 18 17
Primar
Dr. Roger Pycha
gesundheit