20
Geschätzte Leser,
hier in Rom hier brodelt es, immer noch.
Die Grillini stürmen das Parlament, der Palazzo Montecitorio
wird lahm gelegt, es kommt zu Handgreiflichkeiten, die
Abstimmungen werden behindert, gegenseitige Anzeigen
werden erstattet, Kommissionen werden besetzt, Kammer-
präsidentin Laura Boldrini wird geschmäht und beleidigt
und während sich viele darüber (anscheinend) einig sind,
dass das erträgliche Maß an verbaler Gewalt nun erreicht
oder bereits seit langem überschritten worden ist, ufern
die Schmährufe weiter aus, scheint das System aus dem
Ruder zu laufen und ein Prozess nicht mehr kontrollierbar.
Und draußen, in der wirklichen Welt? Gerade eben hat mich
ein befreundeter Wirtschaftsberater am Telefon gefragt,
ob ‚uns hier‘ (genau so hat er es - zu Recht - formuliert)
denn überhaupt bewusst sei, was geschieht, dass eine
Wirtschaft zusammen bricht und ein Staat dabei ist, in
ein Meer von Fäulnis und Pestgeschwüren zu versinken.
Ja ist ‚uns hier‘ denn das überhaupt bewusst? Wollte man
den Beteuerungen hier im Palazzo Montecitorio Glauben
schenken, dann ist ‚uns hier‘ nichts mehr bewusst als dieses
... und trotzdem unternehmen wir kaum etwas dagegen,
oder jedenfalls kommt es ‚draußen‘ nicht an, dass wir
dagegen etwas unternehmen würden.
Es ist tatsächlich so, dass man hier ‚drinnen‘ manchmal
den Eindruck bekommt, im falschen Film zu sitzen. Ich bin
überzeugt, dass sehr viele Politiker nach bestem Wissen und
Gewissen handeln (dass es daneben auch genügend andere
gibt, die nicht reinen Gewissens sein können, steht außer
Zweifel), aber dies reicht nicht (mehr) aus. Wir vergeuden
Stunden für Diskussionen, wie wir den Kauf von Büchern
fördern können (in Zusammenhang mit der Umwandlung
eines Gesetzesdekretes, als ob eine Maßnahme dieser Art
die Dringlichkeit beanspruchen könnte, die für den Erlass
von Gesetzesdekreten Voraussetzung sein sollte), wobei das
Endergebnis ein kompliziertes System von Gutscheinen für
Studenten sein dürfte, dessen Umsetzung wahrscheinlich
mehr kostet als das Ergebnis wert ist.
Das ist ‚unser‘ Problem, und dies ist ein kulturelles: wir pre-
digen Vereinfachung und komplizieren, wir predigen Abbau
von bürokratischen Hürden und erfinden ständig neue, wir
reden von Verschlankung der Verwaltung und verfetten ...
Es ist eine Frage der Kultur, nicht der Revolution (auch die
Grillini diskutieren eifrig mit, wie wir diese Büchergutscheine
regeln sollten), eine kulturelle Erkrankung (derzeit) noch
ohne Hoffnung auf Genesung ... und was soll ich dann
dem befreundeten Wirtschaftsberater am Telefon auf die
Frage, ob ‚uns hier‘ denn überhaupt bewusst sei, was da
draußen in der Welt geschieht, entgegnen?
Die Wahrheit: es ist uns bewusst, aber es hat (noch) zu
keiner Veränderung geführt ... und für diese Veränderung
bleiben wir hier.
Geschrieben am 04. 02. 2014
Manfred Schullian
Kammerabgeordneter
Geschätzte Leser,
Seit knapp drei Monaten sind Sie vereidigter Landtagsab-
geordneter. Wie war Ihr erster Eindruck vom Hohen Haus?
Mein erster Eindruck war nicht unbedingt überwältigend,
sondern eher ernüchternd, da im Laufe der ersten Sitzung die
vorläufige Besetzung der institutionellen Organe ausreichend
Stoff für Diskussionen bot und für Kritik aus den Reihen der
Opposition sorgte, wodurch das Hohe Haus in meinen Augen
nicht gerade an Ansehen gewann.
Wie erleben Sie das Klima innerhalb der eigenen Partei,
der SVP, und gibt es ein kollegiales Verhältnis auch zu
Abgeordneten anderer Parteien?
Das Klima in meiner eigenen Partei erlebe ich als sehr po-
sitiv, konstruktiv, aufgeschlossen und vor allem im Geiste
der Erneuerung und Solidarität zwischen den verschiedenen
Interessen. Meines Erachtens gibt es sehr wohl ein kollegiales
Verhältnis zu den Vertretern aller anderen Parteien, zu einigen
sogar gute menschliche Beziehungen, die durch gegenteilige
politische Ansichten keineswegs beeinträchtigt werden.
Wie wichtig sind die verschiedenen Gesetzgebungs-
kommissionen und ist ein Abgeordneter überhaupt
ausgelastet oder ist ein einfaches Landtagsmandat ein
Gelegenheitsjob?
Die verschiedenen Gesetzgebungskommissionen sind ohne
Zweifel von Bedeutung, da gerade in diesen Kommissionen
für die einfachen Landtagsabgeordneten ihr eigentlicher
Auftrag als Legislativ-Organ voll zum Tragen kommt und damit
hängt auch die Auslastung eines Abgeordneten zusammen.
Sofern jemand seinen Job wirklich ernst nimmt, die Gesetze
genau studiert bzw. auch neue ausarbeitet oder besser noch
bestehende unter die Lupe nimmt, um sie zu vereinfachen, zu
entbürokratisieren oder gar um obsolete Gesetze außer Kraft
zu setzen, ist das Mandat bestimmt kein Gelegenheitsjob.
Wie stehen Sie zum Regionalrat: ein unnötiges Doppelspiel
oder doch ein notwendiges kleineres Übel?
Aufgrund meiner ersten negativen und ratlosen Erfahrun-
gen im Regionalrat muß ich leider zugeben, dass besagtes
Gremium sich nicht nur als unnötiges Doppelspiel entpuppt
hat und ein nicht sehr rühmliches Exerzierfeld für möglichen
Postenschacher bietet, sondern dass grundsätzlich die heutige
Rolle der Region und der verschiedenen Gremien in Frage
gestellt werden muß, um eine neue Form der konstrukti-
ven Zusammenarbeit zwischen Südtirol und Trentino ohne
übergeordnete Institution zu erdenken bzw. zu schaffen.
Sind Sie der Meinung, dass es dauernd neue Gesetze
braucht?
Unser Land braucht nicht unbedingt neue Gesetze, sondern
vielmehr, wie bereits ausgeführt, einfachere Gesetze, die
leichter lesbar und für jedermann verständlich sind. Wir
müssen also vor allem das bestehende legislative Instru-
mentarium überarbeiten, ausmisten und diese immense
Gesetzesflut für unser kleines Land auf ein gerüttelt Maß an
erträglichen und notwendigen Gesetzesnormen reduzieren,
eine wahrlich hehre Aufgabe
für ein Hohes Haus.
Oswald Schiefer
Landtagsabgeordneter
Brief aus Rom
von Robert Adami
Spaß beiseite!
Sotschi…alismus
Meine Tante Hilde ist mit ihren 89
gezählten Lenzen zwar manchmal etwas
wunderlich, aber prinzipiell eine liebe Per-
son; außer man nimmt ihr ihre Lieblings-
fernsehsendung, dann kann sie richtig
bissig werden. „So ein Schmarrn, überall
senden’s nur den blöden Wintersport!“,
wusste sie sich unlängst zu echauffieren.
„Das ist wegen der olympischen Winter-
spiele in Sotschi, Tantchen“, versuchte ich
ihr zu erklären. Tantchen blickte verwun-
dert: „Was? Die Olympischen Spiele finden
in Japan statt?“ – „Aber nein, Tantchen,
nicht Sushi, sondern Sotschi. Sotschi ist
ein Badeort am Schwarzen Meer in Russ-
land.“ Kurzes Schweigen. Offenbar musste
Tantchen das Gehörte erst verdauen. „Ba-
deort?“, meinte sie dann, „wieso gehen’s
denn Schifahr’n an einen Badeort?“ Ich
überlegte kurz und meinte dann: „Also,
die Idee hat der russische Präsident Putin
gehabt; der hat gemeint, Schifahren mit
Blick auf den Badestrand, das wäre doch
toll.“ Tante Hilde verzog eine Grimasse.
„Ja, und Brustschwimmen mit Schischu-
hen sicher auch. So a Blödsinn.“ - „Aber
Tantchen…“ – „Nix Tantchen! Zum
Wintersport g’hört halt mal der Schnee!
Was soll’n die Schispringer denn womög-
lich direkt im Swimmingpool landen? Da
können‘s ja gleich die nächsten Winter-
spiele in der Sahara veranstalten und
mit den Schiern den Kamelen die Höcker
runterrutschen…“
Aber Spaß beiseite. So schlimm, wie
Tante Hilde sich das vorstellt, wird es bei
Olympia in Sotschi schon nicht werden.
Allerdings weisen die vielen Polemiken
rund um die Veranstaltung darauf hin,
dass hier wieder einmal ein Austragungs-
ort nicht nach sportlichen, sondern nach
politischen und markttechnischen Kriteri-
en ausgewählt wurde. Was schade ist, da
dadurch die Sportler über kurz oder lang
zu Marionetten einer großen Unterhal-
tungsindustrie degradiert werden. Panem
et Circenses. Wollen wir uns wirklich
wieder in diese Richtung entwickeln?
Wir fragen Oswald Schiefer
Politik