Seite 19 - WIR_04_2013

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Kunst & Kultur
Diesen Bei-
trag hat Univ.
H-Prof. Doz.
DDr. Helmut
Rizzolli,
Obmann der
Arbeitsgrup-
pe „Unsere
Tracht“ für Sie
verfasst.
Ohne Rücksicht auf lokale Unterschiede sah Pesendorfer für
das Pustertal eine Einheitstracht vor. Der ehemals breite
gelbgrüne Scheibenhut ist in ihren Entwürfen nur mehr
eine Schwundform.
Auf Grundlage der im Bozner Museum befindlichen Guntsch-
naer Frauentracht wurde diese für Bozen adaptiert, ohne zu
bedenken, dass im städtischen Umfeld eine völlig andere
Kleidung nachweisbar ist.
Unter dem Titel „Lebendige Tracht in
Tirol“ wurde das Werk Gertrud Pesen-
dorfers 1982 neu aufgelegt.
Foto: Trachtenarchiv H. Rizzolli.
Foto aus Gertrud Pesendorfer, Neue deutsche Bauerntrachten – Tirol, München 1938.
Erfüllung der ihr von der Politik ge-
stellten Aufgabe, nämlich der flä-
chendeckenden Erfassung der Tiroler-,
besonders der Südtiroler Volkstrachten,
damit diese von den für Deutschland
Optierenden als lebendiger Teil ihrer
Kultur in die „neue Heimat“ mitge-
nommen werden konnten. Dort wo
die Tracht bereits abgekommen war,
wurde sie großzügig rekonstruiert, um
gleichsam als „germanisches Erbgut“
lebendig erhalten zu werden.
Forschung mit fatalen Folgen
Die Auswirkungen auf die Trachtenfor-
schung waren durch dieses Vorgehen
fatal, denn der Generalisierung bei
der Schaffung der Talschaftstrachten
fielen viele lokale Unterschiede zum
Opfer. Letztlich wurde auch die chro-
nologische und typologische Entwick-
lung, etwa von der kurzen Lederhose
zur langen Stoffhose völlig verwischt
und die Tracht dadurch gleichsam
standardisiert. Unter dem Schlagwort
der „lebendigen Tracht“ erreichte
man dadurch vielfach das Gegenteil,
nämlich eine Uniformierung und eine
totale Erstarrung in der Entwicklung
der Festtagskleidung.
Von größter Bedeutung war Pesen-
dorfers Werk „Neue deutsche Bau-
erntrachten - Tirol“, das in München
1938 erschienen ist. In den einlei-
tenden Passagen des Buches, die es
an Anklängen an die vorherrschende
Ideologie nicht fehlen lassen, geht sie
dabei auf die Bedeutung der Tracht
gerade im Tiroler Raum ein.
Pesendorfers Arbeiten innerhalb
des Ahnenerbes bildeten auch die
Grundlage für das nach dem Ende des
Krieges zum Druck vorbereiteten Bu-
ches „Lebendige Tracht in Tirol“, das
1982 in einer neuen Auflage gedruckt
wurde und bis heute weit verbreitet
ist. Für viele Interessierte, aber auch
immer noch für manchen Fachmann
und manche Fachfrau, stellt dieses
Werk heute noch eine Art von Bi-
bel dar, das häufig völlig unkritisch
über die neueren Erkenntnisse der
Bekleidungsgeschichte gestellt wird.
Die weite Verbreitung der Pesendorfer
Optionstrachten in Nord- und Südtirol
stellt heute für die Trachtenpflege ein
nicht geringes Problem dar.
Die Arbeitsgruppe „Unsere Tracht“,
eine wissenschaftlich tätige For-
schungsgruppe im Bereich der Be-
kleidungsgeschichte, bemüht sich
seit Jahren um die Rückkehr zu den
lokalen Besonderheiten der sehr klein-
räumig verbreiteten Tiroler Volks-
trachten zwischen Kufstein und Ala.