Seite 22 - WIR_04_2013

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Porträt
Ольга Целинская
Olga Tselinskaia
ST. MICHAEL/EPPAN
- (ar) Olga Tselinskaia
stammt aus Russland und ist eine sehr talentierte
Musikerin und Sängerin. Im WIR-Gespräch erzählt
sie über die Musik, die Begabung der Menschen,
den lyrischen Gesang und ihren Wunsch an die
Musik des 21. Jahrhunderts.
F
rau Tselinskaia, wie kamen
Sie von Sankt Petersburg
ins Überetsch?
In Sankt Petersburg besuchte
ich eine Sprachschule mit
Schwerpunkt Italienisch und Fran-
zösisch. Als kleines Kind besuchte
ich privat Musikkurse. Dann habe
ich meine Ausbildung anfänglich in
der Musikschule in Sankt Petersburg
und danach an der Musikakademie
fortgesetzt. Irgendwann haben sich
die Studien der Musik und der ita-
lienischen Sprache vereint, sodass
ich mich alsbald am Konservatorium
in Mailand wiederfand. In Südtirol
lernte ich hingegen meinen Mann
kennen.
Was verbindet Russen mit Süd-
tirolern, und was unterscheidet
diese Volksgruppen?
Die Russen und die Tiroler haben
viel gemeinsam. Es sind rationale
Menschen, die ihre Privatsphäre
sehr schützen und ihre Emotionen
nicht gleich nach außen zeigen.
Überdies teilen sie ihre Liebe für die
Musik. Als Musiker muss man sich
verstanden fühlen. Das ist nicht im-
mer möglich, falls die Personen, die
dich umgeben, keine Musiker sind.
Auch das Essen ist sehr ähnlich.
Viele Suppen, Gemüse, Kartoffeln,
Kraut und Omeletten stehen auf
der Speisekarte.
Sie singen und musizieren. Wa-
rum ist Musik so etwas wie Ihr
Lebensinhalt?
Mit fünf Jahren habe ich mich für
die Musik entschieden, obwohl ich
nicht von meinen Eltern beeinflusst
wurde. Sie sind keine Musiker. So ist
mein Vater als Wissenschaftler im
Chemiebereich und meine Mutter
als Ingenieurin tätig. Bereits als
kleines Kind spielte ich Klavier.
Singe oder musiziere ich, ist es für
mich eine Art Meditation und mein
Kopf wird frei. Ich analysiere mein
Leben und bringe es in einen har-
monischen Einklang Daher ist die
Musik fast ein Bestandteil von mir.
I
st jeder Mensch gleich musi-
kalisch, oder ist es eine Sache
der Gene?
Theoretisch gesehen kann jeder
Musiker werden. Musikalische In-
telligenz und Qualitäten kann man
selbst entwickeln. Durch Schulun-
gen kann man die eigene Stimme
verbessern. Dann muss man weitere
Schwierigkeiten beseitigen. Eine
davon ist das Publikum. Wenn man
sich für eine Rolle bemüht, singt
man mit mehr Gefühl. Man darf
aber keine Angst der Blockade ha-
ben. Leider schaffen es nicht alle,
sie zu überschreiten. Wer dies nicht
schafft, sollte nicht Solist werden.
Wer waren Ihre Lehrer, und was
hat Ihre Entwicklung besonders
geprägt?
Ich habe bei vielen, die auf den
größten Bühnen der Welt standen
und stehen, studiert. Zu diesen
zählen Bonaldo Giaiotti, Luciana
Serra, Gianni Maffeo, Rolando Pa-
nerai und Maria Luisa Cioni. Zuletzt
habe ich in Südtirol im Rahmen des
Eppaner Liedsommers einen Kurs
besucht. Von der US-amerikani-
schen Sopranistin Cheryl Studer
konnte ich einige Sachen lernen,
die mir viel geholfen haben.
Haben Sie bestimmte Idole, was
die Musik angeht?
Mein erstes Idol war die legendäre
Maria Callas, die wie keine andere
mit ihrer tadellosen Interpretation
die Seele und den persönlichen
Willen ausstrahlt. Man versteht
jedes Wort, und jedes Wort ist reich
an Sinn und Gefühl. Das erstaunt
mich, wenn ich sie höre, immer
wieder aufs Neue. Die Sänger von
heute bewundere ich sehr, und in
jedem steckt etwas Schönes und
Talentiertes, von dem man nur
lernen kann.
Wohin wird sich Ihrer Meinung
nach die Musik im 21. Jahrhun-
dert entwickeln?
Was das Komponieren betrifft, wün-
sche ich mir die Rückkehr von der
Kakofonie über die elektronischen
Effekte zur Harmonie, wie sie bei
Bach und Mozart zu hören ist. Das
ist die perfekte Musik, sie beruht
auf den Gesetzen, mit denen die
Welt kreiert wurde, unser Planet
und der Mensch – in perfekter Har-
monie. Die zeitgenössische Musik
besticht durch Komponisten, die
oft nicht wissen, was sie genau
komponiert haben. Für die Stimme
sind die modernen Kompositionen
oftmals ein Desaster. Was die Exe-
kution der Opern betrifft, ist dies
auch sehr schwierig, zumal die
melodische Linie nicht die Stütze
des Orchesters trifft. Man muss im
Kopf viele Intervalle einhalten, um
nicht die Gesangsnote zu verlieren.
„RUSSEN UND TIROLER
HABEN VIEL GEMEINSAM“
…mit Ehemann Martin Hanni
und Söhnchen Andrej
Olga in der Rolle als Anna Nabucco