Seite 15 - WIR_10_2013

Basic HTML-Version

15
Ich will nicht Gnade, sondern Recht
Doch wer ist Noldin? Nach einer
sorglosen Jugend in Salurn ver-
bringt „Pepo“ seine Gymnasialzeit
in Trient, Feldkirch, Rofreit (Rove-
reto) und Bozen. Während eines
Besuchs in den Städten Welschtirols
sammelt Noldin erste Erfahrungen
mit den irredentistisch-nationalis-
tischen Bestrebungen und erfährt
so auf diese Weise vom Hass ei-
niger italienischer Kreise auf das
Deutschtum, der sich immer mehr
steigert. In der Landeshauptstadt
Innsbruck promoviert Noldin 1912
zum Doktor der Rechte. Im Ersten
Weltkrieg ist der junge Rechtsan-
walt Oberleutnant und kommt 1915
in russische Gefangenschaft. Als er
1920 wieder zu Hause in Salurn ist,
schmerzt auch ihn die Tatsache,
dass seine Heimat geteilt und jener
südliche Teil Tirols, in dem er lebt,
zu Italien geschlagen wurde.
Doch „[…] die Schule ist wie vor
dem Krieg deutsch“, schreibt Jo-
sef Noldin in sein Tagebuch, „Die
grün-weiße Schützenfahne Salurn
liegt zum Trotz den neuen Herren
wohlverborgen […] Der Kampf um
die Behauptung des deutschen Cha-
rakters hat noch nicht begonnen.“
Ob Noldin ahnte, was bevorstehen
wird?
1922 erobern die Faschisten die
Macht und untersagen binnen kur-
zer Zeit im einverleibten Tiroler
Landesteil namens „Alto Adige“
alles Deutsche und die deutsche
Schule. Der Salurner Anwalt erklärt
sich bereit, den Dorfkindern den
Deutschunterricht durch private
Lehrerinnen geheim zukommen
zu lassen. Durch sein Engagement
wird er den faschistischen Macht-
habern unangenehm. Mehrfach
wird er schikaniert und in einem
Fall wegen Amtsehrenbeleidigung
zu einer fünftägigen Haftstrafe
und 500 Lire Geldbuße verurteilt.
Danach arbeitet Dr. Noldin wieder
als Rechtsanwalt, doch von nun
an wird er von den faschistischen
Obrigkeiten noch strenger über-
wacht. Gefährten raten ihm, er
solle doch über die Grenze fliehen,
doch Noldin lehnt ab.
Portrait Josef Noldin,
(Familie Benedikter, Girlan)
Ansichtskarte Lipari (Ansichtskartensammlung A. Raffeiner)
Noldinhaus Salurn
(Archiv Noldinhaus, Salurn)
Zu Beginn des Jahres 1927 wird
der Salurner für fünf Jahre auf
die Insel Lipari nördlich von Si-
zilien verbannt. Hier erkrankt er
an einer, der Malaria ähnlichen,
Krankheit. Ein Gnadengesuch an
den „Duce“ Benito Mussolini lehnt
er kategorisch ab. Legendär wird
sein Satz: „Ich will nicht Gnade,
sondern Recht!“ Ende 1928 darf
Noldin den süditalienischen Ver-
bannungsort frühzeitig verlassen,
doch gleichzeitig wird ihm verbo-
ten, seiner Arbeit nachzugehen.
In seiner Abwesenheit wurde Nol-
din aus der Rechtsanwaltsliste
gestrichen. Noldins seelisches und
körperliches Befinden wird immer
schlechter. Seine Mutter Melanie
wirft ihm vor, dass es wahrschein-
lich anders gekommen wäre, hätte
er sich nicht so hervorgetan. Dazu
sagte Noldin: „Ich täte es gerade
wieder, Mutter. Wenn alle so täten,
wo wären wir dann Deutsche? Man
darf sich nicht zu Boden drücken
lassen. Wir dürfen uns nicht zu-
rückziehen.“ Noldin stirbt in der
Nacht vom 14. auf den 15. De-
zember 1929, fast genau den Tag
ein Jahr nach seiner Rückkehr aus
Lipari. Und heute? Der verbitterte
Kampf von Noldin darf keineswegs
umsonst gewesen sein. Die Südti-
roler müssen zu jeder Zeit zu ihrer
Sprache und ihrer Kultur stehen
und diese vor die europäische We-
senseinheit stellen. Was wäre Eu-
ropa ohne seine lokale Vielfalt und
seine regionalen Identitäten? Die
deutsch- und ladinischsprachige
Südtiroler Bevölkerung muss auch
in Zukunft ihre Muttersprache be-
wahren, damit sie weiß, wohin sie
sprachlich hingehört. Bekennt sie
sich hingegen nicht dazu, könnte
die die gegenwärtige Autonomie
oder gar eine mögliche Selbstbe-
stimmung eines Tages mehr als
obsolet sein.
SALURN
- (ar) Am 25. November vor 125 Jahren
erblickte eine große Tiroler Persönlichkeit das Licht
der Welt. Ihr Leben galt dem Einsatz für den Erhalt
des deutschen Volkstums und dem Kampf gegen
den italienischen Faschismus und seiner Unterdrü-
ckungspolitik: Dr. Josef Noldin, Rechtsanwalt aus
Salurn (1888-1929).
Blick auf Salurn
Geschichte