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Die Provinz Raetia
Nach der Eroberung durch die
Römer wurde die Bevölkerung
im Alpenraum rasch romanisiert.
Rätische Schrift und Sprache ver-
schwanden innerhalb kürzester
Zeit, viele befestigte rätische Sied-
lungen gingen zu Grunde. Schon
bald wurde im Alpenraum nur
mehr das Latein als Schriftsprache
verwendet.
Dies ging einher mit der politisch-
administrativen Neuordnung des
Gebietes. Die eroberten Gegenden
zwischen Eisack und Bodensee
wurden zu einer Provinz zusam-
mengefasst, die den Namen Raetia
erhielt. Dabei deckte sich dieses
Gebiet aber nicht mit dem Sied-
lungsgebiet der rätischen Stämme.
Das südliche Etschtal und der Süd-
alpenraum kamen zum Kernland
Italien, während Rätien im Norden
auch das Gebiet um Augsburg
umfasste, in dem die keltischen
Vindeliker siedelten. Als unter
Kaiser Caracalla 212 n. Chr. aber
allen Einwohnern das römische
Bürgerrecht verliehen wurde, ver-
schwanden diese Unterschiede
zwischen romanisierten Rätern
und romanisierten Kelten in Räti-
en und man kann in der Folge von
Romanen sprechen, welche diese
Provinz bewohnten. Im Zuge der
Diokletianischen Reichsreformen
des frühen 4. Jahrhunderts wurde
Raetia Teil der Diözese Italia und
in die beiden Teilprovinzen Rae-
tia prima (Curiensis) und Raetia
secunda (Vindelica) aufgeteilt.
Diese wurden nun von einem Dux
Raetiae befehligt und von Statt-
haltern verwaltet, die in Chur und
Augsburg (Augusta Vindelicorum)
ihre Amtssitze hatten.
Rätoromanen
Aus dem Spätlatein entwickelten
sich im Verlauf des Mittelalters die
heutigen romanischen Sprachen:
von Spanisch und Portugiesisch
über Französisch und Italienisch
bis hin zum Rumänischen. Zu die-
sen romanischen Sprachen wer-
Diesen Beitrag hat Univ.-H.Prof. Doz.
DDr. Helmut Rizzolli, Obmann des Hei-
matschutzvereins Bozen-Südtirol, für
Sie verfasst.
den auch die Rätoromanischen
Sprachen in Graubünden, den
Ladinischen Tälern und im Friaul
gezählt. Dabei ist jedoch unklar,
ob die heute in drei getrennten
Gebieten gesprochenen Sprachen
sich auf eine gemeinsame Urspra-
che zurückführen lassen, oder
ob sie sich unabhängig aus dem
Latein entwickelt haben. In jedem
Fall aber haben sie mit der alten
Sprache der Räter nichts gemein.
Die ladinischen Täler der Dolomi-
ten, in denen heute noch räto-
romanische Dialekte gesprochen
werden, haben hingegen viel an
alpiner Kultur bewahrt. Bevor der
moderne Tourismus einsetzte, er-
innerte noch vieles im bäuerlichen
Alltag an das Leben im Hoch-
gebirge, wie es schon die Räter
gekannt hatten: Weidewirtschaft,
Hausbau und Ackerbau trugen
unverkennbar die Merkmale einer
über viele Jahrhunderte gereiften
Beziehung zwischen Mensch und
Berg. In dieser Hinsicht waren
die Ladiner sicherlich Nachfahren
der alten Räter, auch wenn sie
es in sprachlicher Hinsicht wohl
schwerlich sein können.
Die Siedlungsformen in den ladinischen Tälern, hier in Wengen, haben sich seit
Jahrhunderten erhalten.
Die Räter benutzten eine nordetruskische
Schrift, welche von rechts nach links
geschrieben wurde und in zwei Varianten
bekannt ist: dem Alphabet von Bozen
und jenem von Magrè (bei Schio). Mit
diesen Schriftzeichen verfassten sie
meist kurze Weiheinschriften.
Die längste rätische Inschrift ist jene vom Schneidjoch im unteren Inntal (Bran-
denberger Alpen). Ihre Bedeutung ist, wie bei allen rätischen Inschriften, bis
heute nur ansatzweise geklärt.
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