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LOKALES
Die „Stoanernen Mandln“ bangen um ihr Leben
MÖLTEN/SARNTAL
- (br) Es ist ein idyllischer und ebenso mystischer Platz,
der die Wanderer immer wieder anzieht und immer wieder fasziniert: die
„Stoanernen Mandln“. Unzählige Steintürme, aus Platten geschichtet, verlei-
hen der Großen Reisch an der Grenze zwischen Mölten und dem Sarntal ihre
Berühmtheit. Den Sinn für dieses einmalige Kulturgut bringen aber nicht alle
Wanderer mit und hinterlassen oft Spuren der Zerstörung.
Armin Widmann, Filmproduzent
aus Bozen, schlägt Alarm. Was er
kürzlich bei einem Besuch auf der
Großen Reisch beobachten musste,
machte ihn erst sprachlos, dann
wütend. „Ich traute meinen Augen
kaum: Da war eine Gruppe von
Kindern, die die Platten eines Stein-
männchens herumschleuderten,
sie die Wiese hinabrollen ließen
und andere Steinmännchen mit
Platten bewarfen. Und die Eltern
schauten einfach zu“, erzählt Wid-
mann entrüstet. Dies sei nicht nur
rüpelhaft, sondern obendrein auch
noch gefährlich.
Kurz entschlossen forderte er Eltern
auf, ihre Kinder in die Schranken zu
weisen und dem alten Kulturgut die
nötige Achtung entgegenzubringen.
Anderenfalls werde er diesen Vorfall
öffentlich machen. „Da wurde es
krass; man drohte mir sogar mit
dem Anwalt“, berichtet Widmann.
Dann musste er sich noch anhören,
dass die „Stoanernen Mandln“ mit
Kultur nichts zu tun hätten und
einfach nur Steinmänner sein,
die die Kinder ruhig kaputtma-
chen könnten, um neue Figuren
zu bauen.
AUS TÜRMEN WERDEN TÜRMCHEN
Widmann bangt um die Zukunft der
„Stoanernen Mandln“, die die größte
Ansammlung von Steinmännern
weltweit sind. Noch. Jahrhunderte
haben sie überdauert. „Es geht doch
nicht an, dass Fortbestand dieses
uralten Kulturguts wegen ein paar
ungezogener Rotznasen gefährdet
ist“, meint Widmann. Er befürchtet,
dass schon bald von den originalen
Männchen nicht mehr viel übrig ist.
1981 wurden noch rund 100 manns-
Wie eine Soldatenschar erwarten die „Staonernen
Mandln“ die Wanderer auf der großen Reisch.
hohe Figuren gezählt; jetzt sind aus
vielen formschönen Türmen lauter
Türmchen, Mäuerchen und Schlöss-
chen entstanden. Für Widmann ist
die „Große Reisch“ mit ihren Stein-
männern einer der schönsten Plätze
Südtirols und ein markantes Symbol
in den Sarntaler Alpen. In seinem
Film über das Sarntal hat Widmann
die Faszination und Mystik dieses
Ortes mit hineingenommen – ein
unverzichtbares Motiv für jeden, der
den Sarner Bergen verbunden ist.
KEINE SPIELWIESE
„Die ‚Stoanernen Mandln‘ sind doch
keine Spielwiese; wer die Steintürme
zerstört, zerstört Kulturgut“, sagt
Widmann. Er fordert den Schutz der
Heimat in ihrer Ursprünglichkeit und
deren Erhaltung als gemeinsames
Erbe. „Ich möchte die ‚Stoanernen
Mandln‘ auch noch meinen Kindern
zeigen können. Dies ist das Recht
aller, die diesen wunderschönen Platz
lieben“, betont Widmann. Da lasse
er sich von keinem Anwalt drohen.
Die formschönen Steintürme sind markantes
Zeichen in den Sarntaler Bergen.
Geschichtliches über die „Stoanernen Mandln“ von Armin Widmann
Die wunderbare Alpenrosen-Blüte Mitte Juni bis Ende Juli und der herrliche Rundblick auf die umliegende Bergwelt bis
hinein in die Dolomiten ziehen heute den Wanderer in ihren Bann. Dass dieser Ort als Übergang bereits zu vorgeschicht-
licher Zeit von Bedeutung war, beweisen Feuersteingeräte aus der mittleren Steinzeit, die 1980 gefunden wurden. So
berichtet beispielsweise der österreichische Heimatkundler Hans Haid von frühgeschichtlichen Funden, die 7000 Jahre
zurückreichen sollen. Auch der Heimatkundler Georg Innerebner hatte das Sarntal durchforscht und bei den „Stoanernen
Mandln“ eine urzeitliche Siedlungsstelle nachgewiesen. Besonders Felsritzungen lassen darauf schließen, dass es sich dabei
auch um einen vorchristlichen Kultplatz handeln könnte, an dem Naturgottheiten verehrt wurden. Das älteste erhaltene
Dokument, das die „Stoanernen Mandln“ belegt, ist das Prozessprotokoll vom 28. August 1540,
in dem die Pachlerzottel, die „Hexe“ aus dem Weiler Windlahn, zum Tode verurteilt wurde.
Es gehört aus heutiger Sicht in den Bereich der Sage. Dennoch: Im damaligen Volksglauben
sollen sich bei den Steintürmen immer wieder kinderffressende Hexen versammelt haben
um Unwetter, Missernten und Viehverendungen heraufzubeschwören. Ob Hinweis für eine
Siedlung oder einen Kultplatz: Bezüglich der Bedeutung der „Stoanernen Mandln“ ist sich
die Wissenschaft noch immer uneins. Manche sprechen von einfachem Zeitverteib der Hirten,
andere von Blitzableitern, um die anderen Almen vor Blitz zu bewahren.