Seite 22 - WIR_10_2013

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Gesellschaft
Geschätzte Leser,
weit gefehlt, wer geglaubt hat, in Rom würde
irgendwann Ruhe einkehren und es könnten sich
nun Energien und Zeit finden, um die ‚wirklichen‘
Probleme dieses Staates zu lösen oder, wenn schon
nicht lösen, zumindest soweit zu befrieden, dass
sie uns nicht weiter über den Kopf wachsen.
Berlusconi‘s Allmacht wurde mit dem am 2.
Oktober bestätigten Vertrauen an Letta gebro-
chen, aber der Alte gibt sich nicht geschlagen,
der verwundete Löwe schlägt um sich, beraten
von Figuren, die ohne ihn in das Kabinett des
Vergessens wechseln werden, und er sieht sich
am Marterpfahl der Justiz. Seine Kinder sich
Ausgestoßene, gleich den Juden unter Hitler‘s
Regime, so die letzte verbale Entgleisung der
Mumie, die jetzt auch die Umwandlung in ‚Forza
Italia‘ beschleunigen und die Ausgrenzung der
abtrünnigen Minister vollziehen will. Am 27.
November soll der Amtsverlust Berlusconi‘s, der
Verstoß aus dem Senat, beschlossene Sache sein,
der Kongress des Pdl wird daher vorgezogen auf
den 16. November, um die Wiedergeburt von ‚Forza
Italia‘ zu besiegeln, da der ursprünglich für den
8. Dezember anberaumte Kongress bei Beibehal-
tung dieses Termins nur mehr zum Requiem für
Berlusconi geworden wäre. Dem gegenüber steht
allerdings die deutlich erklärte Absicht Alfano‘s
und der restlichen Minister des PDL, gemeinsam
mit anderen gemäßigten Kräften des PDL dafür
zu sorgen, dass diese Regierung nicht fällt und
weiterhin von einer Mehrheit getragen wird.
So zeichnet sich also eine Spaltung des PDL
ab ... und nicht nur. Gerade heute dürfte sich
die Scelta Civica spalten, die Ehe von Monti
mit Casini ist gescheitert, Monti schlägt wie
ein Berserker um sich, die Welt ist für seinen
Untergang verantwortlich und nicht seine Fehl-
entscheidung, sich in den Ring der um Stimmen
kämpfenden Politiker zu werfen und die Noblesse
eines aus dem Nirwana der Wissenschaft zu Hilfe
gerufenen Professors zu verlassen. Und während
also Spaltung auf Spaltung folgt und das Par-
teienspektrum Italiens wieder die gewohnte und
niemandem verständliche Bandbreite einnehmen
wird, vervielfachen sich die Parteimitglieder
des PD im Hinblick auf die anstehende Wahl
des Parteisekretärs und die damit verbundenen
Weichenstellungen. Bei diesem explosionsarti-
gen Zuspruch von Neumitgliedern geht/ging es
allerdings nicht mit rechten Dingen zu, Einhalt
wird geboten, Epifani will die Neueinschreibun-
gen nun stoppen, wie von Cuperlo gefordert,
Renzi erklärt sich einverstanden während Civati
und Pittella Vorbehalte anmelden. Es geht also
drunter und drüber, und dabei ist dies erst die
Vorstufe zum Kampf um den Einzug in den Palazzo
Chigi, denn dass Renzi dorthin will, steht außer
Zweifel. Die Frage bleibt, ob er in der Lage sein
wird, innerhalb Jänner ohne eigenes Zutun die
Regierung fallen zu sehen, denn Neuwahlen gibt
es spätestens im März 2014, sonst wohl erst ein
Jahr später, und bis dahin ist viel Wasser den
Tiber hinab geflossen. Der Fehltritt von Cancellieri
hätte Gelegenheit dazu sein können, aber die
Grande Dame eines bislang über jeden Verdacht
stehenden Staatsapparates hat die Angriffe,
so scheint es zumindest noch heute, exzellent
abgefedert, Letta und Alfano, die sich im Kampf
um das Überleben dieser Regierung gefunden
haben, an ihrer Seite.
Zutaten zu diesem römischen Politkrimi ohne
Ende bilden der übliche Stammtischklatsch in der
umfangreichen römischen Gerüchteküche und die
klassischen Peinlichkeiten, worüber sich dann
alle das Maul zerreißen, wie etwa die Frau von
Renzi, die dessen Dienstplakette verwendet, um
rechtzeitig ihre Schulstunde antreten zu können.
Zumindest sie kam rechtzeitig, vieles andere
passiert hier in Italien viel zu spät.
Manfred Schullian
Kammerabgeordneter
Geschrieben am
07. November 2013
von Robert Adami
Spaß beiseite!
Regierungszahlen
Das waren sie also, die Landtagswahlen
2013. Es war eine… schöne Zeit, auch
für meine Großtante Hilde, welche mit
ihren 89 Lenzen immer noch wacker das
Politgeschehen verfolgt und vor allem
kommentiert. Auf ihre eigene Art und
Weise. Noch am 26. Oktober hatte sie z.B.
steif und fest behauptet, „wirst sehen, der
Elmar wird neuer Landeshauptmann“, nur
um dann am 28. Oktober festzustellen,
dass sie es immer schon gewusst hätte,
dass der „Elmar“ die Wahlen verlieren
würde. Richtig in Fahrt kam Tante Hilde
aber dann erst nach der Wahl, als die
Diskussion um die neue Landeregierung
losging: „9 Landesräte, 11 Landesräte,
7 oder vielleicht gleich 13! Ja, was soll
denn das? Sind wir hier bei der Ziehung
der Lottozahlen? Oder wollens jetzt im
Landtag 10 kleine Negerlein spielen?
Wieso nicht gleich 35 Landesräte, dann
hat jeder ein bissl was mitzureden, soll
ja gut fürs Ego sein!“ Ich versuchte ihr
zu erklären, dass Politik eben auch immer
eine Suche nach Kompromissen wäre.
„Pipifax!“ war ihre Antwort, „man sollt
doch eigentlich wissen, wie viele Leut
nötig sind, um unser Landl zu regieren.
Dein verstorbener Großonkel Sibelius
hat mir beigebracht, dass man bei einem
Unternehmen zuerst schaut, wie viele
Abteilungen man braucht, und sich dann
die Direktoren dafür sucht. Hier schauens
erst, wie viele Direktoren denn gern einen
Posten hätten, und dann erfindens die
Abteilungen dazu!“
Aber Spaß beiseite. Tante Hildes Politik-
kommentare mögen etwas brachial sein;
wahr ist allerdings, dass die von gewissen
Politikern in den Raum gestellte Forderung
nach Erweiterung der Landesregierung
mit der allseits gelobten neuen Beschei-
denheit wohl rein gar nichts zu tun hat.
Und wenn ich mir das so ansehe, dann
beschleicht mich die Befürchtung, dass
der von unserem zukünftigen Landes-
hauptmann versprochene Weg hin zu mehr
politischer Zurückhaltung steiniger als
gedacht werden könnte.
Brief aus Rom
Die Politik ist keine
Wissenschaft
,
wie viele der Herren Professoren sich
einbilden, sondern eine
Kunst
.
Otto von Bismark, 1884