Seite 17 - WIR_11_2013

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Ein Hundeleben
von Barnie Labrador
Frohe Weihnacht
Klingeling! Klingeling! Ich weiß nicht ganz genau
warum, aber jedes Jahr, so ungefähr einen Monat
lang im Winter, haben es die Menschen mit diesen
Glöckchen-Klängen. Als Hund ist man da natürlich
besonders sensibel, wir hören eben etwas besser als
die Zweibeiner. Jedenfalls hört man andauernd solche
Glöckchen läuten, und außerdem laufen überall lustige,
rot gekleidete Männer mit langen Bärten herum, die
man das restliche Jahr über ebenfalls nicht zu sehen
bekommt. Wahrscheinlich rasieren sich diese Menschen
einmal im Januar und lassen dann den Bart das
ganze Jahr über wachsen, um im Winter darauf eben
so auszusehen. Wie gesagt, der tiefere Sinn dieser
Phänomene erschließt sich mir nicht vollends, aber
ich habe mir von Chantal, der Collie-Hündin unseres
Nachbarn, sagen lassen, dass die Menschen diese Zeit
Advent nennen, oder auch Weihnachtszeit. Und dass
es eine besondere Zeit wäre, in der alle Menschen
besser wären. Das ist schön. Dafür können sie sich
gerne Bärte wachsen lassen und Glöckchen klingeln
lassen. Die rot gekleideten Zweibeiner nennen sich
übrigens anscheinend Weihnachtsmänner und verteilen
nett verpackte Geschenke. Das ist auch schön, obwohl
ich an dieser Theorie meine Zweifel hege. Denn der
neue Hundeknochen, den ich jedes Jahr um diese
Zeit geschenkt bekomme, hat zwar auch immer eine
Schleife umgebunden, kommen tut er aber von meinem
Frauchen Fräulein Rita. Das erkenne ich am Geruch,
da macht mir niemand etwas vor.
Besonders schön finde ich aber diese Modellhäuschen,
welche die Menschen in dieser Weihnachtszeit aufstellen.
Krippen nennt man die, hat Chantal gesagt. Und es
wäre das Geburtshaus des Christkindes. Das Christkind
scheint aber nicht das Kind des Weihnachtsmannes zu
sein, denn ich habe in so einer Krippe noch nie eine
rot gekleidete Figur mit schneeweißem Bart gesehen.
Aber ich werde vorsichtshalber nochmal Chantal danach
fragen, denn das alles ist schon etwas verwirrend für
einen Hund wie mich. Allerdings scheinen mir die
Menschen in diesen Dingen auch manchmal etwas
verwirrt zu sein, denn obwohl das Geburtshaus des
Christkinds ganz klar in den Alpen liegt (da bin ich
mir sicher, es sieht genauso aus wie die Häuschen,
an denen wir im Sommer beim Wandern immer vorbei
kommen) rennen da öfters auch Kamele und Elefanten
herum. Und von denen habe ich beim Wandern nun
wirklich noch nie welche zu Gesicht bekommen. Da
kann doch irgendetwas nicht stimmen. Da erscheinen
mir die Rentiere, welche anscheinend den Schlitten des
Weihnachtsmannes ziehen, schon logischer. Aber egal,
solange nicht die Kamele vor den Schlitten gespannt
werden. Das ginge dann wirklich nicht.
Mein Frauchen Fräulein Rita macht in dieser Zeit dann
auch etwas, was sie ebenfalls das restliche Jahr über
sonst nie tut. Sie backt Kekse. So genannte Lebkuchen.
Darauf freue ich mich immer ganz besonders, weil
nämlich die meisten dieser Kekse bei mir im Napf
landen. Die Menschen scheinen Fräulein Ritas Lebku-
chen nämlich nicht zu mögen. Ich hingegen finde sie
wunderbar. Man kann stundelang darauf herum kauen,
die Dinger geben nicht nach. Aber der einzige Mensch,
dem meines Frauchens Kekse anscheinend schmecken,
ist unser Nachbar Herr Dietmar, also Chantals Herrchen.
Er kommt jedes Jahr zur Weihnachtszeit zu Besuch
und vertilgt mindestens 7 dieser Lebkuchen. Dass er
als Mensch diese Kekse zuerst etwa eine Viertelstunde
weichlutschen muss, um hineinbeißen zu können,
macht ihm überhaupt nichts aus. Er schaut Fräulein
Rita nur verliebt an und sagt:
„Ihre Lebkuchen sein wie immer a Gedicht!“
Und sie lächelt verliebt zurück. Chantal und ich kauen
derweil genussvoll ebenfalls unsere Lebkuchen.
Den Abschluss der Weihnachtszeit bildet dann immer
ein Fest, zu dem eine ganze Menge von Frauchens
Verwandten kommen. Dabei gibt es, glaube ich, eine
Regel, die festlegt, dass die Gespräche bei diesem Fest
jedes Jahr gleich ablaufen müssen. Das
schafft anscheinend eine gewisse Heime-
ligkeit. Besonders mag ich das alljährliche
Eröffnungsgespräch zwischen Fräulein
Rita und ihrer Oma.
„Kind, du hosch jo gor koan Weihnochts-
bam…“
„Oma, i hon no nia an Weihnochtsbam ghob.“
„Bisch sicher? Leschts Johr hosch ober oan ghob.“
„Na, Oma, leschts Johr a net.“
“Jo, ober brum denn net?”
„Weil mir die Bam in Wold liaber sein als in der
Wohnung.“
„Jo, ober in Wold konnsch ober koane Kerzen aufn
Bam onzinden.“
„Sell isch gleich, mir kennen schun dechtersch a poor
Kerzen onzinden, und sell tian mer iatz a. Kemms
her olle, mir zinden die Kerzen on und singen a
poor Liader!“
„I geah ober net ausi in Wold!“
Und dann beginnen die einzigen Minuten, vor denen
ich mich in der Weihnachtszeit fürchte. Tante Kuni-
gunde schafft es nämlich, Töne zu produzieren, mit
denen die NASA wohl draußen im Weltall Kontakt zu
außerirdischem Leben aufnehmen könnte, aber hier auf
der Erde leiden meine Hundeohren etwas unter dieser
Belastung. Aber egal, nachdem sich eh nie jemand an
den Text der dritten Strophe von „Stille Nacht“ erinnern
kann, ist das Singen ohnehin bald vorbei. Dann werden
Geschenke verteilt, von denen anscheinend jeder meint,
sie kämen vom Weihnachtsmann, Oma sagt noch:
„Mir hot der Bam leschtes Johr sofl guat gfolln“,
und ich bekomme einen neuen Hundeknochen aus
Plastik. Auch wenn ich schon seit Jahren von einem
Hundeknochen aus Lebkuchen träume. Der würde sicher
bis zur nächsten Weihnacht halten. Vielleicht jaule
ich dem Weihnachtsmann ja mal ein Briefchen. Haps.
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