Seite 21 - WIR_11_2013

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Porträt
Was hat Sie dazu bewogen, Jour-
nalistin zu werden?
Bereits als junges Mädchen hat
es mir gefallen, soziale Verant-
wortung zu übernehmen. Da ich
in der Schule auch relativ gut im
Schreiben und sehr neugierig war,
bin ich zum Journalismus gekom-
men. Im Alter von 23 Jahren habe
ich bei Telebolzano begonnen und
auch für die Tageszeitungen L’Adige
und Alto Adige Artikel verfasst.
Man muss aber auch sagen, dass
es damals leichter war, da sich
die ersten Privatsender im Entste-
hungsprozess befanden.
Sie moderieren die Politiksendung
„otto e mezzo“. Wie schwer ist
es, passende Themen zu finden?
Eigentlich ist das nicht so schwer. Die
Themen als solche bestimmen sich
fast von selbst und sind vorwiegend
politischer Aktualität. Davon gibt
es In Italien täglich ja genügend.
Trotzdem benötigt man für jede
Sendung die entsprechende Vorbe-
reitung und das notwendige Maß an
Unabhängigkeit und Objektivität.
Die guten Einschaltquoten geben
dem Inhalt und Format der Sendung
recht. Und das wachsende Vertrauen
des Publikums bestärkt mich, den
eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Ist Silvio Berlusconi ein Krebsge-
schwür für eine gut funktionie-
rende Mediendemokratie?
Was man zu Berlusconi und seinen
Medien sagen kann, ist, dass es ihm
dank seiner Macht gelungen ist,
das „italienische Wohnzimmer“ zu
erobern. Seine Ende der 70-er Jahre
gegründeten drei Mediaset-Sender
haben weitgehend die Werteskala
Lilli Gruber
„Herkunft
ist Zukunft“
NEUMARKT/ROM -
(ar) Die Unterlandlerin Lilli
Gruber ist mehr als nur ein berühmtes Fernseh-
gesicht. Jahrelang moderierte sie als erste Frau
die Hauptnachrichtensendung tg1 des italienischen
Staatsfernsehens RAIUno. Überdies saß die heute
56-Jährige als Unabhängige für die Koalition des Ulivo
im Europaparlament. Im „WIR“-Gespräch spricht
Gruber über ihre Anfänge, ihr Sendungsformat „otto
e mezzo“, Silvio Berlusconi und vieles mehr.
der Italiener geprägt. Ein Duopol in
der Medienlandschaft, wie es ge-
genwärtig in Italien herrscht (wenn
man den kleinen, unabhängigen
Sender La7 außen vor lässt), ist für
keine Demokratie gut. Der gute Wille
alleine reicht nicht aus, es braucht
vor allem strenge Antitrustgesetze,
die auch der Pressefreiheit gut tun.
Sie haben ein Buch über Ihre
Familie geschrieben. Sind Sie ein
werteliebender Mensch?
Meine Eltern haben mir stets hohe
Werte mitgegeben und mir beige-
bracht, dass das Wissen um die
eigenen Wurzeln Voraussetzung
für eine Weltsicht ohne Scheu-
klappen und Vorurteile ist. Gewiss
habe ich als Heranwachsende etwas
rebelliert und das Ganze in Frage
gestellt, doch heute bin ich stolz
auf meine Südtiroler Identität und
weiß, dass es ohne Herkunft keine
Zukunft gibt.
Was fällt Ihnen beim Begriffs-
paar Frauen und Macht ein?
In einem Macholand wie Italien
besetzen Frauen immer noch zu we-
nige Machtpositionen. Von der oft
zitierten Gleichberechtigung kann
noch immer keine Rede sein. Wenn
in einem Land wie Italien, das sich
in einer derzeit so schweren Wirt-
schaftskrise befindet, freiwillig auf
die vielen Kompetenzen der Frauen
verzichtet wird, so ist das kurzsich-
tig und rückständig. Viele Studien
heute beweisen, dass das soge-
nannte „diversity Management“ für
ein gesundes Wirtschaftswachstum
ausschlaggebend ist. Junge Frauen
müssen sich jedoch bewusst sein,
dass ihnen nichts geschenkt wird
und dass sie immer für ihre Rechte
werden kämpfen müssen. Das habe
ich selbst auch erfahren müssen.
Sie waren auch in der Politik
tätig. Würden Sie das mit der
Erfahrung von heute noch einmal
machen?
Auf europäischer Ebene sehr wohl.
Es ist zwar eine intensive Arbeit,
jedoch hat sie meine europäische
Identität sehr gefestigt. Gerade
in Zeiten, in denen immer mehr
der Sinn der EU in Frage gestellt
wird, darf man nicht vergessen,
dass das vereinte Europa aus den
Trümmern zweier Weltkriege her-
vorgegangen und das Ergebnis
jahrzehntelanger, mühevoller
Kleinstarbeit ist. Wer in Grenz-
gebieten wie Südtirol lebt, sollte
das Zusammenleben verschiedener
Sprachen und Kulturen schätzen.
Mit großem Bedenken sehe ich
allerdings dem Aufkommen neu-
er Neonationalismen in Europa
entgegen.